Bundesumweltminister Altmaier stellt einen 10-Punkte-Plan für die Energiewende vor und führt für diesen Bereich eine eigene Abteilung ein.
Berlin. Am Sonntag hat Peter Altmaier noch einmal einen der angenehmeren Termine, die das Ministerleben so zu bieten hat. In Friedrichskoog an der Nordsee besichtigt der Umweltminister eine Seehundstation, dann wandert er eine Stunde durch das Watt. "Energiewende vor Ort“ lautet der Titel von Altmaiers kleiner Sommerreise, auch wenn die Seehunde nur bedingt damit zu tun haben. Das Problem des gewichtigen Saarländers: Er hat so viele Probleme zu lösen, dass ein Jahr bis zur nächsten Bundestagswahl ein enorm kurzer Zeitraum ist.
Am Donnerstag stellte er in Berlin sein 10-Punkte-Programm bis zur Wahl im September 2013 vor – kaum war er fertig, unterbrach ein Feueralarm seine Antworten auf Nachfragen. Der Minister musste wie die Journalisten kurzerhand den Saal der Bundespressekonferenz verlassen. "Mit neuer Energie, das ist mein Leitmotiv für meine Arbeit als Minister“, sagt der 54-jährige. Seit der CDU-Politiker am 22. Mai Nachfolger von Norbert Röttgen wurde, hat er aufs Tempo gedrückt. Schnell erfreute sich der schlagfertige Freund guten Essens wachsender öffentlicher Beliebtheit.
+++ Altmaier: Länder verzögern Energiewende +++
Getreu eines Satzes von Wirtschaftsminister und FDP-Chef Philipp Rösler muss Altmaier nun aber nach der Sommerpause "liefern“. Auf der Habenseite des Saarländers steht bisher ein umstrittener Kompromiss zur weiteren Kürzung der Solarförderung, der aber die Belastungen der Bürger weiter steigen lassen könnte. Gleiches gilt für die zusammen mit Rösler präsentierten neuen Haftungsregeln bei der Netzanbindung von See-Windparks, mit denen Millionenkosten für Netzstörungen auf den Strompreis der Bürger umgelegt werden können.
Sein Motto: Reden, zuhören, entscheiden. Am besten im Konsens, über Partei- und ideologische Grenzen hinweg. Altmaier lässt sich auch von Rösler bisher nicht aus der Ruhe bringen, der ständig nach einer radikalen Abkehr vom bisherigen Fördersystem für erneuerbare Energien ruft, das alle Bürger über den Strompreis bezahlen. Altmaiers Antwort: "Ich sage Ihnen aber in all meiner Gelassenheit, der ich fähig bin: Ich halte nichts von Schnellschüssen.“
Der SPD-Umweltpolitiker Ulrich Kelber sagt, Altmaier habe schon viermal mit ihm geredet, Röttgen in zweieinhalb Jahren kein einziges Mal. Der Minister sei kompromissfähig, meint Kelber. Altmaier ist in der undankbaren Lage, dass die Zahl der Wohlfühlthemen in seinem Ressort sehr überschaubar ist – als eines davon sticht die geplante Einführung einer bundesweiten Wertstofftonne hervor. Die Ausweitung des Recyclings wird von allen begrüßt, aber der Kampf zwischen Kommunen und privaten Entsorgern um Zugriffsrechte ist in vollem Gange. Der Methode Altmaier folgend legt er keinen fertigen Gesetzentwurf vor, sondern die beiden Streithähne sollen selbst Einigungsvorschläge machen.
+++ Aus Atomreaktor soll grüne Wiese werden +++
Auf Altmaiers Hauptbaustelle, die Energiewende, lässt sich dieses Prinzip nicht anwenden. Hier muss er die 16 Länder davon überzeugen, dass sie grob geschätzt jeweils rund 20 Prozent ihrer Ausbauziele bei Wind- und Solarparks oder Biogasanlagen kappen. Denn sonst gäbe es Strom, der nicht gebraucht wird und zudem für weitere Milliarden an ein viel zu großes neues Stromnetz angeschlossen werden muss.
Mit zeitlichem Abstand werden auch die Gründe für die Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel, Altmaiers Vorgänger aus dem Kabinett zu werfen, plausibler. Röttgen wäre nach dem Wahldebakel in Nordrhein-Westfalen in einer womöglich zu schwachen Position gewesen, um die unzähligen Forderungen der Länder bei der Energiewende unter einen Hut zu bringen. Und zu wichtigen Beteiligten in der Energiebranche hatte er anscheinend keinen Draht. Altmaier hat in den ersten Monaten seiner Amtszeit Hunderte Gespräche geführt, er war beim Naturschutzbund Deutschland genauso wie bei der Eröffnung eines 2,6 Milliarden Euro teuren Braunkohlekraftwerks von RWE.
Als ersten großen Erfolg will Merkels Vertrauter in den nächsten Wochen mit Opposition und Ländern einen Neustart für die Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll beschließen. Doch gerade der Herbst könnte ungemütlich werden, wenn am 15. Oktober die neue Umlage zur Ökoenergie-Förderung bekanntgegeben wird. Der über den Strompreis von allen Bürgern zu zahlende Beitrag könnte für einen Durchschnittshaushalt von 125 auf 175 Euro pro Jahr steigen.
Altmaier macht keinen Hehl daraus, dass er dann mit heftigen Attacken gegen die Energiewende rechnet. Ein Aufweichen des Atomausstiegs schließt er aber definitiv aus. Er setzt auf stärkeres Energiesparen, bringt Energieberatungen für Haushalte ins Spiel. Bisher gibt es lediglich den "Stromsparcheck“ für Empfänger von Sozialleistungen, bei dem gratis Energiesparlampen und abschaltbare Steckdosen eingebaut werden. In 70.000 Haushalten wurden so schon 800.000 Stromsparartikel eingebaut. Diese Zahl will Altmaier deutlich steigern, damit nicht bei Otto Normalbürger vor der Wahl 2013 die Akzeptanz für die Energiewende durch zu hohe Strompreise schwindet.