HAMBURG. Der Berliner "Ehrenmord" an der Türkin Ayhan Sürücü (23) hat in Deutschland großes Entsetzen hervorgerufen. Eine daraufhin vom Bundeskriminalamt (BKA) in Auftrag gegebene Studie aber zeigt, daß es sich nicht um einen Einzelfall in Deutschland handelt. In den neun Jahren von Anfang 1996 bis Mitte 2005 registrierte die Polizei 55 Fälle von sogenannten Ehrenmorden mit insgesamt 70 Opfern. Es starben dabei insgesamt 48 Menschen, 22 überlebten einen versuchten Mord. Laut BKA kann der Bericht aber "nur einen Anhaltspunkt für das Ausmaß und die Entwicklung dieses Kriminalitätsphänomens in Deutschland" geben.
Ehrenmorde werden bisher nicht gesondert in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfaßt oder definiert. Deshalb forsteten die Bundesländer ihre Mordfälle erneut unter folgender Arbeitshypothese durch: "Bei Ehrenmorden handelt es sich um Tötungsdelikte, die aus vermeintlich kultureller Verpflichtung heraus innerhalb des eigenen Familienverbandes verübt werden, um der Familienehre gerecht zu werden."
Von den insgesamt 70 Opfern sind 48 Frauen (davon 36 Tote), aber auch 22 Männer (zwölf Tote). Die männlichen Opfer sind meistens diejenigen, die für die "Entehrung" der Frau und damit der ganzen Famlilien verantwortlich gemacht werden, also Freunde oder Geliebte. Unter den Opfern sind 36 Türkinnen und Türken, aber auch 18 Deutsche.
Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Verdächtigen (insgesamt 70) Männer, 50 von ihnen Türken. Das belegt, daß es Aufgabe der Männer ist, die sogenannte Ehre wieder herzustellen. Die Vermutung allerdings, daß - wie wohl auch im Fall von Ayhan Sürücü - der jüngste Sohn als Mörder bestimmt wird, weil er die geringste Strafe zu erwarten hat, läßt sich durch die Zahlen nicht bestätigen. Die große Mehrzahl von 57 Verdächtigen war über 21 Jahre alt und damit dem Jugendstrafrecht entwachsen. Bei 31 Ehrenmorden war der Ehemann/Verlobter/Freund der Täter, in neun Fällen der Bruder, fünfmal der Vater und zweimal die Mutter.