Niemand zahlt gerne hohe Steuern - auch ich nicht!
Deshalb braucht sich niemand über die Empörungswellen zu wundern, die regelmäßig durch unser Land und seine Medienlandschaft schwappen, wenn der Staat von seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr und nicht weniger fordert, als die Steuergesetze einzuhalten - und zwar unterschiedslos von allen, unabhängig von ihrer Einkommensklasse. In dem Maße, in dem der Druck steigt, mit dem Steuerhinterziehungen zulasten unserer Gesellschaft auch über Grenzen hinweg bekämpft werden, muss sich der Finanzminister mitunter anhören, es sei kein Wunder, dass sein Berufswunsch als kleiner Steppke Pirat gewesen sei und er als gesetzter Mann offenbar noch immer das Cowboy-und-Indianer-Spiel über alles liebe.
Die wahren Motive für die konsequente Bekämpfung von Steuerhinterziehungen sind natürlich andere. Sie haben in der aktuellen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise massiv an Bedeutung gewonnen. Schließlich erleben wir derzeit nicht nur eine ökonomische Krise, wir müssen auch aufpassen, dass die über die vergangenen 60 Jahre so erfolgreiche soziale Marktwirtschaft nicht schleichend Vertrauen verliert. Die Bürger fragen sich zu Recht, warum ausgerechnet sie als Steuerzahler für die Folgen eines entfesselten Finanzkapitalismus zahlen sollen. Wenn dann auch noch diejenigen, die von den Exzessen und Übertreibungen profitiert haben, ihre Gewinne in Steueroasen verstecken und sie so unserer Gesellschaft entziehen, wenn also Verluste sozialisiert, Gewinne dagegen privatisiert werden, dann kann das gefährliche Auswirkungen auf die Legitimationsgrundlagen unserer sozialen Marktwirtschaft und unserer parlamentarischen Demokratie haben. Dem muss die Politik entschlossen entgegenwirken.
Damit ist auch klar, dass wir bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung - entgegen dem oft vermittelten Eindruck - eben nicht die alleinerziehende Verkäuferin im Visier haben, die gar keine steuerlichen Spielräume hat. Es sind die hohen und höchsten Einkommensklassen, in denen Tricksereien und vorsätzliche Finanztransfers ins Ausland - zulasten des deutschen Steuerzahlers und damit zulasten aller steuerehrlichen Bürgerinnen und Bürger - passieren. Es sind auch und gerade die Vertreter dieser Einkommensklassen, bei denen ich die Erfüllung deutscher Steuergesetze anmahne.
Die Zeiten der Bagatellisierung von Steuerhinterziehung müssen auch deshalb vorbei sein, weil wir uns eine weitere Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Staates - gerade angesichts der Herausforderungen der Finanz- und Wirtschaftskrise - nicht leisten können. Mehr denn je brauchen wir heute einen handlungsfähigen Staat, der öffentliche Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger erbringen kann und der dafür die notwendige finanzielle Ausstattung erhält. Einen handlungsfähigen Staat, der Spielregeln für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenspiel setzt und Solidarität organisiert, damit unsere Gesellschaft nicht auseinanderfliegt. Einen handlungsfähigen Staat, dessen wichtigste Aufgabe es ist, jedem Bürger zu ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, seine Fähigkeiten zu entfalten und seine Existenz aus eigener Kraft zu sichern. Dabei spielen öffentliche Investitionen in mehr und bessere Bildung eine zentrale Rolle. Die Stärkung unserer sozialen Marktwirtschaft mit einer Orientierung auf Maß und Mitte und die Handlungsfähigkeit unseres Staates, dem viele Leistungen für die Bürger abverlangt werden, sind es allemal wert, den Druck auf Steuerhinterzieher international wie national zu erhöhen. Auf internationaler Ebene haben wir bei unseren Bemühungen, Steuerflucht und Steuerhinterziehung zu unterbinden, bereits erfreuliche Erfolge erzielt: Immer mehr Staaten wollen sich künftig an internationalen Standards für den Informationsaustausch in Steuerfragen halten und Steuerhinterziehung nicht länger zulassen. Wir werden auf die Einhaltung dieser Zusagen drängen. Auf nationaler Ebene sieht der vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung unter anderem vor, dass derjenige, der mit Steueroasen Geschäfte macht, dem Finanzamt gegebenenfalls Rede und Antwort stehen muss.
Es ist kein "Räuber-und-Gendarm-Spiel" der Politik, sondern ihre unbedingte Pflicht, gegen alle vorzugehen, die Steuern hinterziehen. Denn Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Wer Steuern hinterzieht, schadet seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und gefährdet den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Der Hamburger Peer Steinbrück (62), seit 2005 Bundesfinanzminister und stellvertretender SPD-Vorsitzender, war 2002 bis 2005 Ministerpräsident Landes Nordrhein-Westfalens.