Der Chef des Inlandsgeheimdienstes, Heinz Fromm, sagt vor dem Untersuchungsausschuss aus und gesteht schwere Fehler ein.
Berlin. Abgeschirmt hinter grauen Aufstellwänden begann der bisher ungewöhnlichste Tag des Untersuchungsausschusses zur Neonazi-Mordserie. Auf der Präsidialebene im Reichstag löcherten die Bundestagsabgeordneten gestern Morgen unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Verfassungsschützer, der die jüngste Eskalation in der Affäre um die Zwickauer Zelle auslöste. Ein Mann, über den in dieser Woche bereits der oberste Verfassungsschützer gestürzt war. Konnte dieser Referatsleiter Hinweise darauf geben, warum die zehn Morde der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nicht verhindert werden konnten? Warum die NSU-Mitglieder Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt jahrelang unerkannt blieben? Eben jener Referatsleiter, der im November vergangenen Jahres das Schreddern von Dokumenten über das weite Umfeld des Terrortrios angeordnet hatte - just an dem Tag, als erstmals über den NSU berichtet wurde.
Gestern trat zudem noch der höchste Vertreter des Verfassungsschutzes vor die Abgeordneten, der in diesen Tagen für Schlagzeilen sorgt. Am Nachmittag saß dort also Heinz Fromm, angesehener Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), der sich von seinem Beamten über den Zeitpunkt der Vernichtung von heiklen Akten getäuscht fühlt, dafür die politische Verantwortung übernimmt und seinen Posten räumen wird.
Es gibt viel Denkwürdiges, was die Ausschussmitglieder derzeit mitbekommen. So durften sie erstmals ungeschwärzte Akten des Verfassungsschutzes und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zu V-Leuten einsehen. Das Bundesinnenministerium hat sogar einen hochrangigen Mitarbeiter von Minister Hans-Peter Friedrich (CSU) für den Fall abbestellt: Der Unterabteilungsleiter Verfassungsschutz, Hans-Georg Engelke, soll fortan alle Sachverhalte im Zusammenhang mit der "Operation Rennsteig" umfassend aufklären, teilte das Ministerium mit. Engelke werde seine Arbeit in der kommenden Woche aufnehmen.
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+++ Fromm: Bei Aktenvernichtung hinters Licht geführt +++
Die "Operation Rennsteig" diente der Anwerbung von V-Leuten im rechtsextremen Thüringer Heimatschutz. Besagter Referatsleiter ließ Akten darüber schreddern. Das Ausmaß des Schadens für die Behörden wurde noch einmal verdeutlicht, als die türkische Regierung am Mittwochabend die Pannen bei den Ermittlungen "bedenklich" nannte. Zudem seien im Zusammenhang mit der rechtsextremen Mordserie, der zwischen den Jahren 2000 und 2006 acht türkische Staatsbürger zum Opfer fielen, nur noch zwei Verdächtige in Haft. Die Ermittlungen würden in der Türkei aufmerksam verfolgt, betonte das Außenministerium.
Das Ansehen Deutschlands in der Türkei könnte also größeren Schaden erleiden, sollte der NSU-Ausschuss die Ermittlungspannen nicht zufriedenstellend klären können. Der 63-jährige Fromm jedenfalls sprach in klaren Worten zu den Abgeordneten. Nannte die Tatsache, dass Rechte jahrelang mordend durch Deutschland ziehen konnten, "eine schwere Niederlage für die Sicherheitsbehörden". Und erklärte von sich aus, warum die Aktenvernichtung zu viel für ihn war: "Dieser Vorgang hat zu einem schweren Ansehensverlust des BfV geführt, dessen Folgen leider nicht absehbar sind."
Schnell stellte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) die entscheidende Frage: "Warum wurden die Akten vernichtet?" Fromm schaute aus dem Fenster, faltete die Hände, drückte schließlich auf den Mikrofonknopf: "Ich weiß nicht, ob es dafür irgendeine nachvollziehbare Erklärung geben wird." Derzeit werde geklärt, ob sogar unmittelbar Vorgesetzte von der Vernichtung gewusst hatten. Es war dieselbe Frage, die die Abgeordneten am Morgen bereits dem Referatsleiter gestellt hatten: Warum nur? Der Beamte schwieg und bezog sich aufs Zeugnisverweigerungsrecht. Sehr lange sprach der Verfassungsschützer hingegen darüber, wie die Aktenführung allgemein im Amt aussehe. Es gebe kein geordnetes Verfahren zur Aktenlöschung. Völlig selbstständig gehe man vor.
Was hatte Fromm dazu zu sagen? Er erinnerte sich: Vor drei Jahren sagte ihm ein Mitarbeiter in einem Gespräch: "Beschaffungsakten werden nicht vernichtet." So sei das im Amt. Fromm fragte: "Gilt für Beschaffungsakten das Gesetz nicht, wonach sie mit Verweis auf den Datenschutz irgendwann vernichtet werde müssen?" Die Frage war rhetorisch. Sie verabredeten, dass man "sukzessive" Akten aus der Vergangenheit vernichten werde - nach gesetzlichen Grundlagen. Hätte Fromm hier härter darauf pochen müssen? Sicherlich. Das Vertuschen durch den Mitarbeiter hätte er jedoch nicht verhindert. Eine Spur für weitere Verschwörungstheorien lieferte Fromm also nicht. Ausräumen konnte er sie allerdings auch nicht.
Und dann kochte auch noch ein längst bekannter Fall wieder hoch, der Zweifel an der Rolle von Verfassungsschützern aufkommen ließ. 2006 ereignete sich in Kassel einer der Morde an Migranten, der dem NSU zugeschrieben wird: Die Terroristen sollen damals den 21-jährigen Halit Yozgat ermordet haben. Das Pikante daran: Am Tatort war ein Verbindungsmann des hessischen Verfassungsschutzes anwesend. Das warf viele Fragen auf.
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Die "Zeit" protokollierte noch einmal genau die Umstände der Tat in Kassel und stellte forsch die Frage, ob der Verfassungsschützer an dem Mord beteiligt gewesen sein könnte. Dagegen zitierte die "Süddeutsche Zeitung" jenen T., der sich als Opfer falscher Anschuldigungen fühlt. Auch die Bundesanwaltschaft hat bisher keine Hinweise auf eine Tatbeteiligung gefunden.
Der Untersuchungsausschuss will T. dennoch anhören - voraussichtlich im September. Auf Betreiben von FDP und Grünen habe man beschlossen, "Herrn T. nun endlich zu laden", sagte FDP-Obmann Hartfrid Wolff der "Welt". Er gehe zwar nicht davon aus, dass T. des Mordes schuldig ist, "aber ich glaube, dass er wesentliche Informationen in diesem Fall verschweigt". Auch im September wird wohl der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier im Ausschuss auftreten. Der CDU-Politiker kündigte an: "Ich werde alles, was mir möglich ist, darlegen." Bouffier war hessischer Innenminister, als 2006 der Mord in Kassel passierte. Bouffier weigerte sich damals, dass Polizei und Staatsanwaltschaft den Verbindungsmann direkt vernehmen durften. Das wirft Fragen auf.
"Das was praktiziert worden ist, war rechtmäßig", sagte ein zerknirschter Fromm bei seiner Aussage. "Rechtmäßig, aber nicht sinnvoll?", hakte Edathy nach. Fromm blieb nur ein "Ja".