Volker Ratzmann, Bürgerrechtler, Realo, Machtpolitiker, legt sein Amt als Berliner Grünen-Fraktionschef mit sofortiger Wirkung nieder.
Berlin. Der Berliner Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann zieht sich aus seinem Amt zurück. Der Realo, Bürgerrechtler, Machtpolitiker legte wegen anhaltendem Machtkampf zwischen linkem und Realo-Lager wenige Wochen nach der Abgeordnetenhauswahl sein Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Der Schritt sei ihm nicht leicht gefallen, sagte Ratzmann am Dienstag nach einer Fraktionssitzung. Er wolle den Weg für eine „notwendige Richtungsbestimmung“ freimachen. Das Amt habe ihm viel Spaß gemacht und er habe keine Minute bereut.“ Die Krise der Berliner Grünen hat damit einen neuen Höhepunkt erreicht. Noch vor einem Jahr sahen Umfragen die Grünen als stärkste politische Kraft der Hauptstadt, bei der Wahl blieben sie aber weit hinter den eigenen Erwartungen zurück.
Die Lösung der Konflikte sei leichter, „wenn meine Position unbesetzt ist“, so Ratzmann am Dienstag. Die Grünen steckten "in einer tiefen Krise“. Er habe das Gefühl, dass die Debatte zunehmend personalisiert werde. „Damit blockieren wir uns selbst“, sagte Ratzmann, der sein Mandat behalten will. Er wirkte sichtlich erleichtert und bekannte: „Ich bin mit mir ziemlich im Reinen.“
Er betrachte seinen Rücktritt „nicht als Opfer, sondern als politischen Akt, die Wahl aufzuarbeiten“, sagte der Politiker, der im Falle eines rot-grünen Bündnisses als Senator gehandelt worden war. Die Koalitionsgespräche mit der SPD waren jedoch am Streit über die Autobahn 100 gescheitert. Ratzmann wird dafür mitverantwortlich gemacht. Auch das Wahlergebnis, das den Grünen schließlich nur den dritten Platz nach SPD und CDU einbrachte, wird insbesondere ihm angelastet.
Ratzmann, der die Fraktion gemeinsam mit Ramona Pop leitete, war zuletzt aus dem linken Lager mehrfach zum Rücktritt aufgefordert worden. Der bei der Wahl gestärkte linke Flügel der Partei stellte sich offen gegen ihn, nachdem deren Vertreter Canan Bayram und Dirk Behrendt bei der Fraktionsvorstandswahl scheiterten. Behrendt unterlag Ratzmann knapp, für den aber nur 15 von 29 Abgeordneten stimmten.
Ratzmann wurde vorgehalten, im Wahlkampf eine Koalition mit der CDU nicht ausgeschlossen und damit Stimmenverluste in Kauf genommen zu haben. Eine selbstkritische Wahlanalyse planen die Grünen am Mittwoch auf einem Kleinen Parteitag.
Der scheidende Fraktionschef hält Behrendt und Bayram an der Fraktionsspitze für „ungeeignet“. Als seine Nachfolger werden unter anderem Heiko Thomas und Thomas Birk gehandelt, die beide den Realos zugerechnet werden. Eine Entscheidung soll bis spätestens nächsten Dienstag fallen.
Ratzmann kritisierte den internen Konflikt scharf. „Das ist keine Flügelauseinandersetzung, sondern eine Fraktion in der Fraktion“, sagte er und warnte vor einem Linksruck. Die Linken stellen rund 40 Prozent der Abgeordneten.
Ratzmann sagte, die Grünen dürften nicht die neu gewonnenen Wählerschichten aus konservativen Kreisen verprellen. Er wolle nicht, dass sie „als das Böse“ gesehen würden. „Sonst sind wir weiter das öko-soziale Kollektiv, das der Stachel im Fleisch ist“, fügte er hinzu. Der Transformationsprozess der Grünen in die Mitte der Gesellschaft sei noch nicht abgeschlossen. Auch in der Bundespartei sei der Richtungsstreit noch nicht entschieden, sagte Ratzmann. „Was hier passiert, findet auch auf der Bundesebene statt.“
Grünen-Landeschefin Bettina Jarasch zollte Ratzmann „Respekt“. Zugleich versprach sie die Fortsetzung des Mediationsverfahrens in der Fraktion. Als Streitschlichter waren dort die ehemalige Bundestagsabgeordnete Michaele Hustedt und der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland eingesetzt worden. Auch Pop dankte Ratzmann für die geleistete Arbeit. Er habe viel für die Fraktion getan.
Porträt: Volker Ratzmann - Pragmatiker, Familien-Vater, Machtpolitiker
Sein Herz schlägt für die Bürgerrechte und den Kampf gegen Rechtsextremismus. Gleichzeitig ist der Innenexperte und langjährige Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen, Volker Ratzmann (51), auch Machtpolitiker. Das und eine gewisse Sturheit wurde seiner Karriere vorerst zum Verhängnis. Weil er den starken linken Flügel in der neuen Fraktion nicht in die Führung integrierte, brach ein offener Machtkampf aus, der jetzt auch Ratzmann sein Amt kostete.
Ratzmann stammt aus Helmstedt in Niedersachsen. 1981 kam er zum Jura-Studium nach Berlin und blieb. Gorleben und der Kampf gegen die Atomkraft prägten den Studenten und brachten ihn politisch zu den Grünen. Ende der 80er-Jahre teilte er eine Wohngemeinschaft mit dem heutigen Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf, der nach der deutschen Wiedervereinigung von den Grünen zur PDS wechselte. Die WG galt als wichtiger Debattierzirkel der linken Szene in Berlin.
In die Landespolitik holte ihn die damalige Berliner Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast, mit der Ratzmann und andere bis heute eine Anwaltskanzlei teilen. Seit 2001 sitzt Ratzmann im Berliner Abgeordnetenhaus, seit 2003 ist er einer von zwei Fraktionsvorsitzenden.
Der einst zum linken Flügel der Grünen zählende Jurist nennt seine Position heute „radikalpragmatisch“. Weil neben Werten wie Gerechtigkeit und Bewahrung der Natur auch die Umsetzung in der Politik zähle.
Um dem rot-roten Senat etwas entgegenzusetzen, arbeitete Ratzmann im Berliner Landesparlament immer wieder auch mit CDU und FDP zusammen. Zeitungen sahen das „Jamaika-Bündnis“ als mögliche Alternative zum Senat des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). Für ihn zähle nur, sagte Ratzmann, mit wem er am meisten grüne Politik verwirklichen könne. Mit der Position machte er sich in dem traditionell linken Landesverband der Grünen nicht nur Freunde.
Trotzdem wurde Ratzmann 2008 als potenzieller Bundesvorsitzender seiner Partei gehandelt. Er verzichtete aber auf eine Kandidatur gegen Cem Özdemir. Zusammen mit seiner Freundin, einer Grünen-Bundestagsabgeordneten, erwartete Ratzmann ein Kind und betonte: „Ich will etwas von meinem Kind haben, mein Kind soll etwas von mir haben.“ Inzwischen ist er zweifacher Vater.
Mit Material von dapd/dpa