Grünen-Chefin Claudia Roth über die Piratenpartei als Herausforderung, die schlingernde Bundesregierung und die Zukunft von Renate Künast nach der Berlin-Wahl
Berlin. Gewonnen und doch verloren: 18,4 Prozent reichten bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus nur zu Platz drei. Grünen-Chefin Claudia Roth warnt im Interview mit dem Hamburger Abendblatt ihre Partei davor, alt zu werden.
Hamburger Abendblatt:
Die Grünen wollten in Berlin stärkste Fraktion werden - und landeten auf Platz drei. Haben Sie die Niederlage schon verdaut, Frau Roth?
Claudia Roth:
Na ja. Wir haben das beste Ergebnis aller Zeiten bei Berliner Abgeordnetenhauswahlen erzielt ...
... mit der prominentesten Spitzenkandidatin aller Zeiten. Künast wollte Regierende Bürgermeisterin werden.
Roth:
Wir haben ein lachendes und ein weinendes Auge. Wir wollten noch mehr erreichen. Wir haben es leider nicht geschafft, SPD und CDU zu überholen.
Woran hat es gelegen?
Roth:
Auch am sehr ehrgeizigen Ziel. Wir haben versucht, einem beliebten Bürgermeister die Macht wegzunehmen. Das war eine Kampfansage an die SPD. Wir haben eine Wechselstimmung gespürt in Berlin, die sich aber nicht auf Wowereit bezogen hat. Wir werden alle Ergebnisse in Ruhe sorgfältig analysieren.
Wie wollen Sie die SPD davon überzeugen, dass die Grünen ein besserer Juniorpartner sind als die CDU?
Roth:
Herr Wowereit hat die Wahl, ob er mit uns eine Politik machen will, die den rot-roten Stillstand überwindet, oder ob er mit einer Partei von vorgestern zusammengehen will. Wir sind bereit, mit aller Kraft und großer Leidenschaft eine moderne sozialökologische Politik mitzutragen. Wir wollen auf Augenhöhe mit der SPD verhandeln.
Kann Künast an die Spitze der Bundestagsfraktion zurückkehren, als sei nichts geschehen?
Roth:
Selbstverständlich. Renate Künast ist herzlich willkommen in der Fraktion. Sie hat immer mit offenen Karten gespielt und klar gesagt, dass sie nicht Stellvertreterin von Wowereit werden will.
Freut sich Trittin auch so, dass er Künast wieder an seiner Seite hat?
Roth:
Wir leben von Vielfalt in unserer Partei. Das ist ein großer Reichtum. Das weiß und schätzt auch Jürgen Trittin. Wir werden alle Renate mit offenen Armen empfangen.
Kann Künast als Wahlverliererin noch Spitzenkandidatin bei der nächsten Bundestagswahl werden?
Roth:
Moment! Sie ist doch keine Wahlverliererin. Die SPD hat verloren, Rot-Rot ist abgewählt, die FDP ist im absoluten Desaster. Renate Künast kehrt zwar nicht als Regierende Bürgermeisterin, aber als erfolgreiche Wahlkämpferin zurück. Was die beste Aufstellung für die Bundestagswahl ist, werden wir in Ruhe überlegen, wenn die Frage ansteht.
Wann wird die nächste Bundestagswahl denn sein?
Roth:
Gute Frage. Ich weiß nicht, wie diese schwarz-gelbe Koalition bis 2013 so brandgefährlich weiterwursteln will. Diese Koalition wird immer mehr zu einem Teil der Krise in Europa, statt ein Teil der Lösung zu sein. Frau Merkel darf den Fortbestand der Koalition nicht wichtiger nehmen als die Verantwortung Deutschlands in Europa. Der unanständige Versuch der FDP, mit Populismus gegen den Euro auf Stimmenfang zu gehen, ist krachend abgestraft worden. Auch CDU und CSU sind in zentralen Fragen völlig zerstritten. Diese Koalition ist nicht regierungsfähig. Neuwahlen wären da die logische Konsequenz.
Wären die Grünen bereit, eine Minderheitsregierung der Union zu stützen?
Roth:
Sicher nicht längerfristig. Die Grünen bieten an, die Kanzlerin bei wichtigen Europa-Entscheidungen im Bundestag zu unterstützen. Aber das ersetzt keine Neuwahlen.
Wie wollen Sie verhindern, dass sich die Piratenpartei als Konkurrenz zu den Grünen etabliert?
Roth:
Ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Piraten, mit denen uns manches verbindet. Wir haben gemeinsam Demonstrationen organisiert, wenn es um die Freiheit im Internet, Datenschutz und Bürgerrechte ging. Wir dürfen uns aber Kreativität und Frechheit von den Piraten nicht abnehmen lassen. Das sind Kernbestandteile grünen Stils.
Sehen Sie die Gefahr, dass die Piraten so etwas werden wie die neuen Grünen?
Roth:
Nein. Die Grünen sind viel breiter aufgestellt als die Piraten und haben Konzepte für alle politischen Fragen. Aber wir nehmen die Herausforderung gerne an. Wir müssen knallgrün bleiben und dürfen nicht grau werden. Es hat uns immer ausgezeichnet, Stachel zu sein.