Ankauf von Staatsanleihen hält er für “rechtlich bedenklich“. Merkel weist Forderungen nach Sicherheiten für Euro-Hilfen zurück
Berlin. Christian Wulff droht gelegentlich in Vergessenheit zu geraten. Das mag daran liegen, dass er in seinem Amt als Bundespräsident erstaunlich still ist. Umso mehr fällt es daher auf, wenn der Präsident der Deutschen sich dann doch einmal äußert, noch dazu so deutlich wie gestern bei einer Tagung von Wirtschaftsnobelpreisträgern im bayerischen Lindau. Ungewöhnlich harsch formuliert der Bundespräsident Kritik an einer Institution, die in ihrem Selbstverständnis so unabhängig ist wie Wulffs Amt - der Europäischen Zentralbank (EZB). Wulff fordert die Notenbanker auf, möglichst rasch den Aufkauf von Staatsanleihen Not leidender Euro-Länder aufzugeben. Papiere im Wert von 110 Milliarden Euro liegen bereits bei der EZB. Der Präsident hält das für "rechtlich bedenklich".
Angela Merkel (CDU) muss bei diesen Worten innerlich gekocht haben. Als wäre das Regieren für die Bundeskanzlerin derzeit nicht schon schwierig genug, macht ihr nun auch noch der sonst so unauffällige Bundespräsident Schwierigkeiten. Nichts hält die Märkte derzeit so ruhig wie der Anleihenaufkauf durch die EZB - so umstritten er sein mag. Die Zentralbank bügelt aus, was die viel zu langsame Reaktion der Politik anrichtet. Merkel weiß, wie sehr die Zentralbank auch in ihrem Interesse die Lage herunterkühlt. Kritik vom Bundespräsidenten kann sie derzeit nicht gebrauchen. Auch weil Wulff jenen in Deutschland eine Stimme gibt, die mit der Richtung von Merkels wichtigstem Projekt in ihrer Regierungszeit ein Problem haben: der Euro-Rettung.
Keinen Monat dauert es mehr, bis Merkel vor der wohl wichtigsten Abstimmung ihrer Amtszeit im Bundestag steht: dem Votum über die Erweiterung der Aufgaben für den Euro-Rettungsfonds EFSF. Der Hilfsfonds für die Euro-Länder soll künftig nicht nur überschuldeten Staaten unter die Arme greifen dürfen, sondern auch Euro-Partnern, die kurzfristig Zahlungsprobleme haben. Italien wäre so ein Kandidat. In der Union tut man sich mit diesem Gedanken schwer, beim Koalitionspartner FDP ist er erst recht umstritten.
Merkel kann sich nicht sicher sein, ob ihre schwarz-gelbe Koalition im September eine eigene Mehrheit zustande bringt. Und deshalb versucht sie nun, die Reihen zu schließen. Am Dienstagabend hatte sie die Unionsfraktion für eine knapp dreistündige Sondersitzung zusammengetrommelt. Mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) redete sie auf die Abgeordneten ein, beschwor sie, dass man den Euro und Europa nicht scheitern lassen dürfe. Und die Kanzlerin gab erneut die harte Verhandlerin für deutsche Interessen: Sie erteilte europäischen Gemeinschaftsanleihen, bei denen Deutschland für andere Staaten haften würde, erneut eine Absage. Sie wiederholte die Forderung nach nationalen Schuldenbremsen in den Verfassungen der 17 Euro-Staaten. Und sie wartete auch mit einer neuen Idee auf: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll ein Klagerecht bei Verstößen gegen den europäischen Wachstums- und Stabilitätspakt bekommen. Bisher ist er für die Finanzpolitik nicht zuständig. Fraktionschef Volker Kauder gab sich nach der Sitzung schon überzeugt, dass die Koalition eine eigene Mehrheit im September erreichen wird. Sicher ist das allerdings noch nicht: Da das Treffen in der Urlaubszeit stattfand, fehlte rund ein Drittel der Abgeordneten. Wie groß die Gruppe der Widerständler ist, lässt sich derzeit also nicht abschätzen. Und nur einen Tag nach der Fraktionssitzung gab es neue Aufregung. Nach einem Medienbericht plant Schäuble, die Mitwirkungsrechte des Parlaments bei der Neugestaltung des Rettungsschirms auszuhebeln. Als Beweis dafür wurde der EFSF-Rahmenvertrag angeführt. Über den verhandeln die 17 Euro-Staaten derzeit. Einen Entwurf des Vertrages hatte Schäuble an die Vorsitzenden der fünf Fraktionen geschickt. Und in dem Text fand sich kaum ein Wort zu den Rechten des Parlaments.
Das sorgte bei einigen Abgeordneten für Empörung. Doch dahinter steht ein Missverständnis: Die Parlamentsbeteiligung wird nicht in dem Rahmenvertrag der Staaten geregelt, sondern in dem EFSF-Gesetz, das der Bundestag verabschieden soll. Und darin können die Parlamentarier die Regeln festlegen. Das taten sie auch 2010, als der Rettungsschirm installiert wurde.