Ministerpräsident Kretschmann bereitet Volksentscheid vor
Stuttgart. Die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg legt das Schicksal des umstrittenen Milliarden-Bahnprojekts Stuttgart 21 in die Hand des Volkes. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Freitag in Stuttgart, die Koalition akzeptiere das positive Gutachten zum Stresstest für Stuttgart 21 und stelle nun die Weichen für den für Herbst geplanten Volksentscheid. Die Grünen beugten sich damit dem Druck der SPD, die Stuttgart 21 unbedingt realisieren will. Dass die Grünen und die anderen Projektgegner das Bahnvorhaben mithilfe des Plebiszits noch kippen können, gilt wegen der hohen Hürden in der Landesverfassung als unwahrscheinlich.
Kretschmann machte kein Hehl daraus, dass aus Sicht der Grünen das Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Tiefbahnhof nicht stimmt. "In quantitativer Hinsicht ist der Stresstest bestanden, in qualitativer unserer Ansicht nach nicht." Die Grünen fordern "Premium-Qualität". "Das kann man wohl von einem modernen Bahnhof, der so viel kostet, erwarten", sagte der Regierungschef. Die Kunden erwarteten viel weniger verspätete Züge. Aus Sicht von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) ist Stuttgart 21 beim Stresstest sogar durchgefallen.
Vizeregierungschef und Finanzminister Nils Schmid (SPD) sagte dagegen, die von der Schweizer Verkehrsberatung sma festgestellte "wirtschaftlich optimale Betriebsqualität" sei bei großen Bahnprojekten in Deutschland üblich. Er und Kretschmann forderten die Bahn auf, die von sma angemahnten Nachbesserungen anzugehen und Transparenz über Kosten und Risiken herzustellen. Kretschmann kündigte an, man bereite jetzt die für Herbst geplante Volksabstimmung vor.
Die Chancen für ein Aus des Projekts sind dennoch stark gesunken: Da das Quorum für das Referendum bei 33 Prozent liegt, müssten sich nicht nur die Mehrheit der Teilnehmer gegen das Projekt aussprechen, sondern es müssten auch mindestens rund 2,5 Millionen Wahlberechtigte mitmachen. Die Grünen erreichten bei der Landtagswahl im März 1,2 Millionen Stimmen. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke verwies darauf, dass die Bahn Ende Juli die Aufträge für die Tunnel vergebe und damit die Ausstiegskosten extrem stiegen.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) forderte von Grünen und Bürgern ein Ende des Widerstands gegen das Milliardenprojekt. "Ich bitte die Projektgegner, jetzt nicht den schlechten Verlierer zu geben", sagte der CSU-Politiker. Ramsauer verband seinen Appell mit einer Warnung an Kretschmann: Wer vertragsbrüchig werde, müsse Schadenersatz zahlen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedauerte in Berlin, dass das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 die Präsentation des Stresstest-Ergebnisses am nächsten Dienstag boykottiert. Dies finde sie in gewissem Sinne "schade", sagte Merkel. Eine Schlichtung könne nur funktionieren, wenn sich möglichst viele an das Ergebnis hielten.
Selbst Kretschmann fordert das Aktionsbündnis auf, doch noch an der Präsentation teilzunehmen. "Ich sehe keine Gründe, die das rechtfertigen, dies nicht zu machen." Die Gegner hatten kritisiert, dass sie die Vorgaben des Stresstests nicht mitgestalten durften. Der Sprecher des Aktionsbündnisses, Hannes Rockenbauch, lehnte aber eine Teilnahme an der Präsentation ab.
Die Opposition im Landtag aus CDU und FDP geht davon aus, dass der Zeitplan für die Beratung des Ausstiegsgesetzes und die Volksabstimmung nicht zu halten ist. "Realistisch gesehen ist in diesem Jahr mit einer Verabschiedung des Gesetzes nicht zu rechnen." Die Opposition brauche Zeit, um den Gesetzentwurf zu prüfen, kündigte CDU-Fraktionschef Peter Hauk an. Sein FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke kündigte eine Klage gegen das Gesetz an, da es den Haushalt des Landes betreffe. Und darüber dürfe es keine Volksentscheide geben. "Es bettelt geradezu nach einer juristischen Überprüfung."