Der Chef des Bundeskriminalamts spricht über Gefahr von links und fordert die Bürger auf, den Auto-Brandstiftern das Handwerk zu legen.

Wiesbaden. Der Präsident des Bundeskriminalamts blickt mit Sorge auf Hamburg - zum einen, weil in der Hansestadt weiterhin Islamisten leben, die fähig sind, Anschläge zu verüben. Zum anderen, weil Linksextremisten immer brutaler vorgehen. Im Abendblatt-Interview fordert Jörg Ziercke die Bürger in Hamburg auf, den Auto-Bandstiftern das Handwerk zu legen.

Hamburger Abendblatt: Herr Ziercke, welche Erinnerung haben Sie an den Augenblick vor zehn Jahren, als Sie von dem Anschlag auf die Zwillingstürme in New York erfuhren?

Jörg Ziercke: Ich war damals Leiter der Polizeiabteilung im schleswig-holsteinischen Innenministerium. In meinem Büro erreichte mich ein Anruf, ich solle doch mal den Fernseher einschalten. Einer der beiden Türme des World Trade Centers brannte bereits. Kurz darauf kam das zweite Flugzeug. Damit war klar: Es muss ein Terroranschlag sein.

Ist die Welt, ist Deutschland seither sicherer geworden?

Ziercke: Die Sicherheitsbehörden haben sich seither im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gut aufgestellt. Wir haben in Berlin ein Terrorabwehrzentrum geschaffen, das sich vielfach bewährt hat. Neue Sicherheitsgesetze sind in Kraft. Im Fall der sogenannten Kofferbomber im Jahr 2006 haben wir Glück gehabt. Doch ist es in Deutschland seit dem 11. September 2001 gelungen, acht ernst zu nehmende Anschlagsversuche zu verhindern. Leider wurde die eindrucksvolle Bilanz in diesem Frühjahr durchbrochen, als es einem islamistischen Einzeltäter gelungen ist, am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten zu töten und zwei weitere schwer zu verletzen.

Großbritannien hat seine Terrorwarnstufe jetzt abgesenkt. Ein Anschlag sei nicht mehr "sehr wahrscheinlich" ...

Ziercke: Ich halte wenig von Terrorwarnstufen. Wir leben in einem weltweiten Gefahrenraum und müssen auch in Deutschland nach wie vor mit Anschlägen rechnen. Al-Qaida ist auch nach Osama Bin Ladens Tod noch handlungsfähig. Aber wir haben keinen konkreten Hinweis, dass in Deutschland ein Anschlag vorbereitet wird.

Die Todespiloten des 11. September kamen aus Hamburg. Ist die Hansestadt ein Brückenkopf des internationalen Terrorismus geblieben?

Ziercke: Hamburg ist Teil der Bedrohungslage. Islamistische Gruppen sind im gesamten Bundesgebiet verteilt und in Netzwerken unterschiedlichster Art organisiert.

Wie gefährlich ist die islamistische Szene in Hamburg?

Ziercke: In Deutschland gibt es derzeit 132 sogenannte Gefährder. Das sind Personen, die wir für befähigt halten, Anschläge zu begehen. In Hamburg halten sich einige dieser Gefährder auf. Sie sind in Ausbildungslagern gewesen, rekrutieren Kämpfer oder sammeln Spenden für den Dschihad in Afghanistan. Gefährder stehen im besonderen Maße im Visier der Sicherheitsbehörden. Mitarbeiter des Terrorabwehrzentrums in Berlin beschäftigen sich rund um die Uhr mit ihnen.

Die Al-Kuds-Moschee im Stadtteil St. Georg, in der auch die Attentäter vom 11. September verkehrten, ist geschlossen worden. Hat das geholfen?

Ziercke: Mit Sicherheit ist mit der Schließung ein Kristallisationspunkt der Szene entfallen. Interessierte haben eine Andockstelle weniger. Auf die etablierte islamistische Szene hat die Schließung der Moschee aber keine großen Auswirkungen. Sie trifft sich nun an anderen Orten. Die Behörden haben das im Blick.

Sprechen Sie eigentlich von Kampf oder von Krieg gegen den Terrorismus?

Ziercke: Terroristen sind für mich Straftäter, die wir bekämpfen.

Ist der Kampf zu gewinnen?

Ziercke: Das hängt von vielen Faktoren ab. Die Sicherheitsbehörden jedenfalls sind insgesamt gut aufgestellt. Die Situation ist beherrschbar. Ich kann mir kaum vorstellen, dass al-Qaida derzeit in der Lage ist, einen Anschlag in der Dimension des 11. September 2001 durchzuführen. Anschläge durch radikalisierte Einzeltäter sind natürlich immer möglich. Konkrete Hinweise auf bevorstehende Anschläge haben wir derzeit nicht.

Libyens Diktator Gaddafi droht damit, Attentäter nach Europa zu schicken, wenn die Nato das Bombardement fortsetzt ...

Ziercke: Ich halte das für Durchhalteparolen und Propaganda, wie wir sie von Gaddafi seit vielen Jahren kennen. Gleichwohl haben wir das im Auge. Ich sehe derzeit jedoch keinen Anlass für zusätzliche Schutzmaßnahmen.

Wenn die Sicherheitsbehörden gut aufgestellt sind, können sie auf die Speicherung von Telefonverbindungsdaten ja verzichten ...

Ziercke: Keineswegs. Ohne die Vorratsdatenspeicherung stochern wir bei unseren Ermittlungen vielfach im Nebel. Oftmals wird uns der einzige Ermittlungsansatz genommen. Wir haben eine reale Sicherheitslücke, die schleunigst geschlossen werden muss. Auch die Sicherheitsbehörden in allen anderen EU-Staaten sehen die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung sollten wissen, dass es in 90 Prozent aller Fälle lediglich darum geht, eine verdächtige IP-Adresse einem Computer zuzuordnen. Das ist für mich vom Prinzip her nichts anderes, als über ein Autokennzeichen den Halter eines Wagens zu ermitteln.

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat Bedenken - und schlägt ein milderes Mittel vor: Verbindungsdaten im Verdachtsfall einzufrieren ...

Ziercke: Ein bayerischer Kollege hat es mal so ausgedrückt: Das Steak, das der Hund gefressen hat, kann nicht mehr eingefroren werden. Wir können nur auf Daten zurückgreifen, die es noch gibt.

Sie ärgern sich über die Justizministerin.

Ziercke: Ich wundere mich eher - und bin da nicht der Einzige. Der Rechtsstaat ist erwiesenermaßen benachteiligt in der Ermittlung schwerster Straftaten. Viele Gegner der Vorratsdatenspeicherung argumentieren meiner Auffassung nach nicht immer redlich, insbesondere wenn es um abstruse Statistikvergleiche bei der Aufklärung von Straftaten geht. Das Bundesverfassungsgericht hat ja beschrieben, wie man die Vorratsdatenspeicherung verfassungsgemäß und damit verhältnismäßig umsetzen kann. Die grundsätzliche Frage ist beantwortet. Das Gericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die "Quick-Freeze-Methode" keine geeignete Alternative ist. Die EU-Kommission im Übrigen auch.

Herr Ziercke, der niedersächsische Innenminister Schünemann wähnt Deutschland an der Schwelle zu einem neuen Linksterrorismus. Gibt es dafür Indizien?

Ziercke: Linksterroristische Bestrebungen erkenne ich in Deutschland weiterhin nicht, wir bewegen uns aber in eine bedenkliche Richtung. Wir verzeichnen starke extremistische Bestrebungen, die Grenzen überschreiten. Anschläge mit dem Ziel, Personen zu töten, gelten zwar in der linken Szene nach wie vor als nicht vermittelbar. Gleichwohl wird in Kauf genommen, dass Menschen getötet werden könnten. In Hamburg und in Berlin erleben wir eine Entwicklung, die uns große Sorgen bereitet.

Konkret?

Ziercke: In den ersten fünf Monaten dieses Jahres ist die Zahl politisch motivierter Gewaltdelikte im linken Spektrum deutlich angestiegen - nicht nur im Vergleich zu den entsprechenden Monaten des Vorjahres, sondern auch des Jahres 2009, in dem wir bisher die meisten linken Straftaten zu verzeichnen hatten. Es werden Brandanschläge auf Fahrzeuge und Gebäude verübt, in denen sich mitunter noch Menschen aufhalten. Repräsentanten des Staates werden in ihren Privathäusern angegriffen. Polizisten, die Menschenleben schützen, werden selbst zur Zielscheibe.

Bundesinnenminister Friedrich fordert, den Fahndungsdruck zu erhöhen. Wie kann das gelingen?

Ziercke: Wir müssen linksextremistischen Straftaten mit den Mitteln des Rechtsstaats begegnen. Dazu gehören auch Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung oder der Einsatz verdeckter Ermittler, solange dessen Verhältnismäßigkeit gegeben ist. Die Aufklärungsquote ist in der Tat unbefriedigend. Alle sind aufgefordert, die bestehenden Konzepte zu überdenken und weiterzuentwickeln.

Ist die Gefahr von Links inzwischen größer als die von Rechts?

Ziercke: Ich halte den Linksextremismus für ähnlich bedrohlich wie den Rechtsextremismus.

Wer zündet in Hamburg die vielen Autos an?

Ziercke: Dabei handelt es sich um ein breites Spektrum. Ein Teil der Brandstiftungen wird von Linksextremisten begangen, andere begreifen die Taten als Teil ihrer fragwürdigen Spaßkultur. Es sind aber auch Leute dabei, die einen simplen Versicherungsbetrug begehen.

Wie lange geht das noch so weiter?

Ziercke: Die Polizei in Hamburg und Berlin hat ja Erfolge zu verzeichnen. Einzelne Täter sind festgenommen worden. Angesichts der vielen möglichen Tatobjekte und Tatgelegenheiten ist es jedoch schwer, flächendeckend zu verhindern, dass Autos in Brand gesteckt werden. Viel hängt auch von der Aufmerksamkeit und den Hinweisen der Bürger ab.

Worauf wollen Sie hinaus?

Ziercke: Jeder sollte sich aufgefordert fühlen, den Brandstiftern das Handwerk zu legen. Das hat nichts mit Denunziation zu tun. Wachsam zu sein und Anzeige zu erstatten halte ich für normale Bürgerpflicht. Wer in einer friedlichen Gesellschaft leben will, muss seinen Teil dazu beitragen.