Die Trunkenheitsfahrt ihres Wahlkampfleiters macht Renate Künast zu schaffen. Die Wowereit-Herausforderin steckt in der Moralfalle
Berlin. Nach der Affäre um die Trunkenheitsfahrt ihres Wahlkampfmanagers André Stephan, 31, hat sich Renate Künast erstmals deutlich von dem entlassenen Grünen-Mitarbeiter distanziert. Die grüne Spitzenkandidatin für die Berliner Abgeordnetenhauswahl am 18. September sagte zerknirscht: "Jemand, der so betrunken Auto fährt, ist schlicht und einfach als Wahlkampfleiter nicht tragbar."
Was der Herausforderin von Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) besonders übel aufstieß: Nach seiner Trunkenheitsfahrt mit anschließendem Krawall gegen Polizeibeamte hat sich Stephan gegenüber den Grünen erst erklärt, als die Vorwürfe öffentlich wurden. "Wir Grüne gehen von null Promille Alkohol am Steuer aus und auch von bestimmten Umgangsformen gegenüber der Polizei", sagte Künast.
Mit dem Geschäftsführer der Berliner Grünen-Fraktion, Heiko Thomas, hat Künast einen neuen Wahlkampfleiter gewonnen. Und mit dem Neuen ging die Fraktionschefin im Bundestag auch gleich in die Offensive. 100 000 neue Jobs wollen die Grünen im Falle eines Wahlsieges in Berlin schaffen. Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland gehe an Berlin und seinen Arbeitslosen vorbei, sagte Künast. Nur "hip" sein reiche für eine solche Metropole nicht.
Den Versuch, wieder die Initiative an sich zu reißen, haben Künast und ihre Partei auch dringend nötig, denn es scheint, als steckten sie in der Moralfalle. Auch in Thüringen gab es Negativ-Schlagzeilen für die Partei, die an sich und andere gern hohe Maßstäbe ansetzt. In der Geraer Kreisgeschäftsstelle wurden Hanfpflanzen gefunden. Es besteht der Verdacht, dass dort Marihuana angebaut wurde. Die Thüringer Grünen-Abgeordnete Astrid Rothe-Beinlich fordert rasche Aufklärung.
In Berlin werden sie zudem den Makel der Vorschriftenmacher nicht los. Künast formulierte Ziele, die im Widerspruch zur Parteilinie standen: Tempo 30 auf allen Straßen, die Größe des neuen Flughafens Schönefeld sollte überdacht werden. Das wurde korrigiert, doch der Imageschaden ließ sich lange nicht reparieren.
Nun besucht Künast mehrere Unternehmen und Einrichtungen pro Woche und sucht die Nähe zum Wahlvolk. "Eine für alle" lautet der Wahlslogan. Er soll dokumentieren, dass sich die Grünen aus ihrem Spartendenken verabschiedet haben und für alle wählbar sind. Reichte es früher aus, die Partikularinteressen der Stammwähler zu vertreten, so gilt es jetzt, genauso die Sorgen und Wünsche der Kleingärtner und Eigenheimbesitzer zu vertreten.
In Umfragen liegen die Grünen mit 25 Prozent noch fünf Prozentpunkte hinter der SPD. Wowereit lässt sich einfach nicht ein auf jene Duellsituation mit Künast, die heraufbeschworen wird. Genüsslich enthüllte er jetzt seinen Wahlslogan: "Berlin verstehen".
Es reiche eben nicht, die Stadt zu kennen, man müsse sie verstehen, sagte Wowereit. Doch Künast kämpft. Während Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg die Herzen zuflogen, gilt sie als unerbittlich und aggressiv. Dass Künast Fraktionschefin im Bundestag bleiben kann, wenn sie in Berlin nichts wird, steht fest. Die Frage ist, ob die Berliner Wähler eine Frau wollen, die stets den Angriff sucht und suggeriert, an sich und alle anderen strengste Ansprüche zu stellen.