Die Partei stimmt am Sonnabend ab. Der Schwarz-Gelbe Atomausstieg bedarf nach Meinung der Grünen Nachbesserungen.
Berlin. Einig in der Sache, zerstritten über den Weg: Die Grünen entscheiden am Sonnabend auf einem Sonderparteitag über ihr "Ja" oder "Nein" zum schwarz-gelben Atomausstieg. Die beiden Vorsitzenden Cem Özdemir und Claudia Roth warben am Freitag noch einmal für die Zustimmung der rund 800 Delegierten zum Atomausstiegsgesetz von Union und FDP. Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbände halten das für einen großen Fehler und wollen vor der Berliner Messe demonstrieren, wo der Parteitag stattfindet.
Özdemir sagte, die Koalition habe ihre positive Haltung zur Kernkraft nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ändern müssen. Schwarz-Gelb sei mit dem Ausstiegsende 2022 wieder beim rot-grünen Beschluss aus dem Jahr 2000 angelangt und habe ihn mit Abschaltdaten für die einzelnen Reaktoren sogar noch weiterentwickelt.
„Ich gehe davon aus, dass wir Grüne nicht "Nein" sagen zum eigenen Gesetz, zum eigenen Ausstiegsbeschluss“, sagte Özdemir. Wenn die Grünen 2013 in die Regierung gewählt würden, könnten sie das Gesetz nachbessern und für eine echte Energiewende sorgen.
Auch Roth forderte beim Hallenrundgang am Tag vor der Delegiertenkonferenz: „Lasst uns der Atomgesetznovelle zustimmen.“ In der Sache seien doch alle Grünen einer Meinung. Eine Differenz gebe es nur in strategischen Fragen. Sie hoffe, dass die Partei gestärkt und nicht geschwächt aus dem Parteitag herausgehe.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte der „Welt“: „Es wäre absurd, beleidigt danebenzustehen und abzulehnen.“ Schließlich habe die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von drei Gesetzentwürfen der Grünen zweieinhalb übernommen. Sollten sich die Grünen jetzt verweigern, könnte sich die Kanzlerin den Atomausstieg zudem auf ihre Fahnen schreiben. Es sei Merkels strategisches Ziel, den Grünen das Thema Atomausstieg abzunehmen.
Der Bundesvorstand schlägt in seinem Leitantrag vor, dass sich die Grünen grundsätzlich bereit erklären, die schwarz-gelben Pläne für einen Atomausstieg mitzutragen. Die weiteren Gesetzesnovellen zum Ausbau der erneuerbaren Energien, der Leitungsnetze und Speicherkapazitäten wollen die Grünen dagegen nicht billigen. „Werden sie nicht substanziell nachgebessert, können wir diesen Gesetzen nicht zustimmen“, heißt es in dem Antrag.
Der Parteitag könnte aber auch beschließen, nicht zuzustimmen oder nur unter Bedingungen "Ja" zu sagen. Die beiden Alternativen dafür liegen als Anträge den Delegierten vor. Darüber hinaus wird in rund einem Dutzend weiterer Anträgen verlangt, der Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft müsse im Grundgesetz festgeschrieben werden.
Eine Ablehnung der schwarz-gelben Atompläne fordert vor allen die Grüne Jugend. Doch auch ihre Sprecherin, Gesine Agena, sieht darin keinen Spaltpilz für die Partei. Sie sagte im "Südwestrundfunk": „Wir sind alle Atomkraftgegner. Insofern gibt es da keine Zerreißprobe.“ Uneinigkeit bestehe nicht in der Analyse, sondern in der Schlussfolgerung.
Aus Nordrhein-Westfalen kam unmittelbar vor dem Parteitag die Forderung, den Atomkonsens nachzubessern. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse „endlich über eine gesetzliche Beendigung der Urananreicherungsanlage in Gronau verhandeln“, verlangte der Grünen-Landesvorsitzende Sven Lehmann.
„Es geht kein Riss durch die Grünen, wir sind uns im Ziel einig. Die Lage ist nicht ansatzweise mit der Auseinandersetzung um den Kosovo-Krieg 1999 vergleichbar“, sagte Lehmann über die Stimmung innerhalb der Grünen.
Das sagt die Hamburger GAL:
Vor dem Sonderparteitag der Grünen zum Atomausstieg überwiegt im Hamburger Landesverband die Unterstützung für das Vorhaben der Bundesregierung. "Unsere Delegierten entscheiden am Sonnabend frei, ob sie den Plänen der Bundesregierung zustimmen werden. Ich habe jedoch den Eindruck, dass sich eine sehr deutliche Mehrheit hinter den entsprechenden Leitantrag unseres Bundesvorstandes stellt", sagte die GAL-Landesvorsitzende dem Abendblatt.
"Das heißt: Wir sagen Ja zum schrittweisen Atomausstieg bis 2022 und dem endgültigen Aus der sieben ältesten Meiler und Krümmel, lehnen jedoch die sieben weiteren Gesetze zur Ausgestaltung der Energiewende ab", betonte Fegebank. Genau dafür setzt sich auch die Parteispitze in Berlin ein. Die Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir wollen über einen Leitantrag abstimmen lassen, nach dem die Grünen ihren Bundestagsabgeordneten empfehlen, bei der Abstimmung des Parlaments am 30. Juni für die Atomgesetznovelle zu votieren. Dafür brauchen sie am Sonnabend allerdings die Mehrheit der 819 Delegierten, was jedoch keinesfalls gesichert ist. Teile der Basis und Umweltinitiativen fordern, dass die Grünen weiter an ihrem ursprünglichen Ziel festhalten: Ein Atomausstieg bis 2017. Roth und Özdemir warnten in einem Brief an die Anti-Atom-Organisationen davor, sich von der Ökopartei abzuwenden: "Wer aus Grünen und der Anti-Atom-Bewegung zwei getrennte Strömungen machen will, der betreibt das Spiel der Gegner."
Auch Fegebank betonte: "Die Erwartungen an uns sind hoch, von allen Seiten - deshalb wird es mit der Entscheidung am Sonnabend auch Enttäuschungen geben." Auch im Hamburger Landesverband habe es intensive Debatten gegeben. Die GAL-Chefin forderte ihre Parteifreunde zu Realismus auf. "Der Atomausstieg wird kommen, und es ist jetzt unsere Aufgabe, beim Umstieg auf Erneuerbare Energien den Turbo einzuschalten und Vorreiter in Sachen Energiewende zu sein."
Bei den schleswig-holsteinischen Grünen ist noch unklar, wie die 25 Delegierten abstimmen werden - auch wenn sich der Landesvorstand für eine Unterstützung der Parteispitze ausgesprochen hat. "Wir hatten in den letzten Tagen viele Diskussionen in unterschiedlichen Gremien, und es zeichnet sich ein sehr differenziertes und unterschiedliches Stimmungsbild ab", sagte Landeschefin Eka von Kalben dem Hamburger Abendblatt. "So haben wir Kreisverbände, die sich klar gegen eine Zustimmung ausgesprochen haben, etwa der Kreisverband Kiel. Andere wiederum wollen zustimmen." Von Kalbens Prognose für die Abstimmung am Sonnabend: "Alles ist möglich."