Entwicklungsminister Dirk Niebel verurteilt den Umgang der FDP mit ihrem Vorsitzenden und bekundet Interesse, Vizeparteichef zu werden.
Berlin. Er schwieg lange zum Machtkampf in der FDP - und rechnet jetzt mit seinen Parteifreunden ab. Der gebürtige Hamburger Dirk Niebel, Entwicklungsminister und früherer Generalsekretär, geißelt im Abendblatt-Interview unbürgerliches Verhalten der Liberalen.
Hamburger Abendblatt: Geht es Ihnen gut, Herr Niebel?
Dirk Niebel: Ja. Ich bin ausreichend beschäftigt.
In der FDP wird der Parteichef gestürzt - und sein früherer Generalsekretär schweigt dazu über Wochen. Warum sind Sie abgetaucht?
Niebel: Ich habe geschwiegen, als es nichts mehr zu sagen gab.
Sind Sie zufrieden, wie der Machtkampf ausgegangen ist?
Niebel: Ich bin traurig über die Art und Weise, wie miteinander umgegangen wurde. Guido Westerwelle ist waidwund geschossen worden. Mit diesem Stil hat sich die FDP keine Freunde gemacht. Die Achtung vor anderen ist eine bürgerliche Tugend. Es wird uns gut tun, wenn wir diese Kompetenz zurückgewinnen.
Hätte Westerwelle Parteichef bleiben sollen?
Niebel: Guido Westerwelle war der erfolgreichste Parteichef, den die FDP jemals hatte. Fast fünf Jahre durfte ich ihn als Generalsekretär begleiten. Wir haben die Liberalen in eine Sphäre gebracht, die uns satisfaktionsfähig mit den sogenannten Volksparteien gemacht hat. Leider konnten wir das Vertrauen, das uns die Wähler geschenkt haben, nicht über die ersten anderthalb Regierungsjahre retten. Die Leistung von Guido Westerwelle wird auch in Zukunft zu würdigen sein.
Über die jungen Hoffnungsträger in der FDP - Rösler, Lindner, Bahr - haben Sie zum Jahreswechsel im Abendblatt-Interview gesagt, sie bräuchten noch einige Zeit, um ihre Fähigkeiten zu veredeln. Jetzt wird Rösler Parteichef ...
Niebel: Philipp Rösler war als Bundesgesundheitsminister und ehemaliger Wirtschaftsminister von Niedersachsen derjenige, der am ehesten infrage kam, in der jetzigen Situation die Nachfolge von Guido Westerwelle anzutreten. Ich sichere ihm meine volle Unterstützung zu.
Kann er Parteichef?
Niebel: Ich bin davon überzeugt. Im Übrigen kann man alles, was man nicht sofort beherrscht, sehr schnell lernen.
Rösler für Westerwelle - reicht das, um die FDP aus dem Umfragetief zu führen?
Niebel: Nein. Die FDP muss sich inhaltlich und personell neu aufstellen. Das Präsidium, das wir auf dem Parteitag im Mai wählen, wird mit dem jetzigen kaum noch etwas gemeinsam haben. Wir müssen aber darauf achten, dass uns eine Mischung aus Erneuerung und Kontinuität gelingt. Die FDP vertritt nicht nur Menschen unter 30.
Können die Wahlverlierer Homburger und Brüderle bleiben, als sei nichts geschehen?
Niebel: Ich hoffe, dass Birgit Homburger in Baden-Württemberg den notwendigen Rückenwind bekommt, um weiter die Bundestagsfraktion zu führen. Wenn jemand erfolgreich mit Herrn Kauder und Frau Hasselfeldt verhandeln kann, dann ist das Birgit Homburger. Auch wenn das in der Öffentlichkeit nicht immer so wahrgenommen wird: Birgit Homburger verkörpert gutes Regierungshandeln.
Erwägen Sie, für den stellvertretenden Parteivorsitz zu kandidieren?
Niebel: Mein baden-württembergischer Landesverband hat mich als einzigen Kandidaten für das Präsidium nominiert. Ich bin mit vielen Parteifreunden im Gespräch über die Position, für die ich auf dem Parteitag kandidieren werde.
Also ja.
Niebel: Ich gehe fest davon aus, dass sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Daniel Bahr als stellvertretende Parteivorsitzende bewerben werden. Meine Entscheidung hängt auch davon ab, ob Rainer Brüderle wieder antritt. Eine Kampfkandidatur gegen ein anderes Kabinettsmitglied schließe ich aus.
Sie sind in Hamburg geboren. Welche Rolle wünschen Sie sich für die Wahlsiegerin Suding?
Niebel: Katja Suding ist eine herausragende Nachwuchspolitikerin. Für sie sollte es einen Platz im Bundesvorstand geben.
Muss die neue Führung die Partei neu erfinden?
Niebel: Die FDP muss nicht neu erfunden werden. Aber wir müssen Realitäten zur Kenntnis nehmen. Das Energiekonzept der Bundesregierung ist nach Fukushima nicht mehr haltbar. Wir müssen es vernünftig verändern. Dabei müssen wir beachten, dass Deutschland eine wichtige Industrienation ist. Sie können sicher sein, dass aus der FDP keine weitere grün angestrichene sozialdemokratische Partei wird. Wir wachen darüber, dass der Wirtschaftsstandort nicht gefährdet wird.
Was bedeutet das für die Atomlaufzeiten?
Niebel: Ich bin kein Ingenieur. Lassen Sie uns das Moratorium abwarten und hören, was die Fachleute sagen. Für den Übergang ins Zeitalter der erneuer-baren Energien brauchen wir neben der Atomenergie moderne Kohlekraftwerke.
Wer trägt die Kosten der Energiewende?
Niebel: Ich denke, dass wir die Kosten einigermaßen im Griff halten können. Wir dürfen weder Industrie noch Verbraucher überfordern. Höhere Steuern für die Energiewende wird es mit der FDP jedenfalls nicht geben.
Bleibt die FDP eine Steuersenkungspartei?
Niebel: Es gilt, was wir mit der Union im Koalitionsvertrag vereinbart haben: Wenn sich Spielräume ergeben, werden wir spätestens 2013 die kleineren und mittleren Einkommen entlasten.
Werden sich denn Spielräume ergeben?
Niebel: Davon bin ich überzeugt. Die Steuerschätzung deutet darauf hin. Und wenn die Einnahmen am Ende doch geringer sein sollten, müssen wir eben im Haushalt mehr einsparen.
Was wird aus den Steuergeschenken für Hoteliers?
Niebel: Auch hier gilt der Koalitionsvertrag, der eine umfassende Mehrwertsteuerreform vorsieht. Die Hotelsteuer wird - wenn überhaupt - im Rahmen dieser Reform überprüft. Wir müssen ausschließen, dass eine Rücknahme die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Gastgewerbes gefährdet.
In Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin stehen Landtagswahlen bevor. Was ist drin für die FDP?
Niebel: Es wird in allen drei Ländern sportlich, den Einzug ins Parlament zu schaffen. In den Stadtstaaten haben wir traditionell einen schweren Stand. Aber wir dürfen nichts unversucht lassen. Hamburg hat gezeigt, was möglich ist.
Wer wird Spitzenkandidat der FDP bei der nächsten Bundestagswahl sein? Automatisch Rösler, der neue Parteivorsitzende?
Niebel: Das wäre sinnvoll.
Mit dem undankbaren Gesundheitsressort?
Niebel: Gesundheit betrifft jeden von uns. Das Politikfeld von Philipp Rösler ist in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt. Wenn er gute Arbeit macht, wird er auch gute Wahlergebnisse erzielen.
Außenminister sind meist beliebter.
Niebel: Ein Gesundheitsminister, der gute Arbeit macht, gehört zu den beliebtesten Menschen der Republik.
Ist ein Politiker, der nicht mehr gut genug sein soll, die FDP zu führen, gut genug, deutsche Interessen in der Welt zu vertreten?
Niebel: Ach, hören Sie auf. Hans-Dietrich Genscher war, nachdem er den FDP-Vorsitz aufgegeben hatte, noch sieben Jahre einer der erfolgreichsten Außenminister der Welt.
Sind Sie von Westerwelles Kurs in der Libyen-Frage überzeugt?
Niebel: Die Enthaltung im Sicherheitsrat war eine Entscheidung der gesamten Bundesregierung. Die Entwicklung in Libyen zeigt, dass es richtig war, sich an den Luftangriffen nicht zu beteiligen.
Und nun?
Niebel: Deutschland sollte humanitäre Hilfe leisten, sobald das möglich wird. Außerdem sollten wir darauf hin-wirken, dass der Einsatz im Rahmen der Uno-Resolution 1973 bleibt - und nicht doch noch Bodentruppen entsandt werden. Die internationale Gemeinschaft muss sich verstärkt Gedanken machen über eine politische Lösung in Libyen. Außenminister Guido Westerwelle hat das von Anfang an gefordert.