Die Kanzlerin will in Brüssel für eine einheitliche Wirtschaftsregierung werben. Nicht nur dort droht Widerstand. Auch aus Berlin kommt Gegenwind.
Berlin. Es ist schweres Gepäck, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit nach Brüssel bringt. Wenn sie heute mit den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder zum Gipfeltreffen zusammenkommt, will sie ihre Amtskollegen für ihren Plan einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung gewinnen. Zwar klingt er mit dem Titel "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" relativ harmlos, doch soll er nichts Geringeres als Europa fit machen: gegen künftige Schuldenkrisen, gegen einen instabilen Euro. Zwar hat Merkel bereits Franreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy auf ihrer Seite - doch sie stößt auch auf heftigen Widerstand. Nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin.
Geht es nach Merkel, sollen die Staaten der Euro-Zone binnen zwölf Monaten ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik aufeinander abstimmen - und es dabei in vielen Punkten so machen wie Deutschland. So wünscht sich die Kanzlerin für alle eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild. Das Renteneinstiegsalter soll an die demografische Entwicklung angepasst, die Löhne nicht mehr an die Inflationsraten gebunden werden. Auch eine Anerkennung der Bildungs- und Berufsabschlüsse ist vorgesehen. Genauso wie eine gemeinsame Firmenbesteuerung.
Gegenwind kommt etwa aus Rom: Das krisengeschüttelte Italien möchte nicht noch mehr sparen als bisher. Und Spanien, wo Merkel gestern mit Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero zusammenkam, macht Front. So sagte Arbeitsminister Valeriano Gómez, Spanien habe gute Erfahrungen damit gemacht, Lohnerhöhungen an die Inflationsrate zu binden. Der spanische Arbeitgeberverband äußerte ebenfalls Bedenken. "Eine Bindung an die Produktivität ist eher ein deutsches Thema", hieß es. In Spanien würden sich auch in Zukunft die Löhne nach der Inflationsrate richten. Auch in Belgien und Luxemburg gibt es diese Praxis. Ein Konsens dürfte nicht ganz einfach werden.
Die Kanzlerin kämpft an zwei Fronten: Einerseits muss sie die Deutschland-Skeptiker in Brüssel für sich gewinnen, auf der anderen Seite jedoch auch die Europa-Skeptiker zu Hause bei Laune halten. Das sind nicht nur die Bürger selbst, die die EU in erster Linie mit Kontrollverlust und Reglementierungswut verbinden, sondern auch der Koalitionspartner FDP. Hier ist die Riege der Gegner einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung besonders stark. Auch aus der Opposition hagelt es Kritik: "Europa braucht eine Wirtschaftsregierung. Allerdings steckt in dem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit von Angela Merkel nicht das drin, was eine gemeinsame Wirtschaftsregierung ausmachen würde", sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, dem Hamburger Abendblatt. Die Kanzlerin wolle, dass alle Länder der Euro-Zone so werden wie Deutschland. Das allerdings werde nicht funktionieren. "Die Ungleichgewichte müssen auf beiden Seiten abgebaut werden", forderte Trittin. Dazu gehöre auch, dass Deutschland seine Nachfrageschwäche im Inland überwinde. "Das funktioniert nur, wenn die Löhne deutlich stärker steigen, als es in den letzten zehn Jahren der Fall war: nämlich angepasst an die Produktivitätsfortschritte", so Trittin. "Geht es der Wirtschaft besser, müssen auch die Arbeitnehmer mehr in der Geldbörse haben."
Dazu müsse man die Flucht aus den Regelarbeitsverhältnissen beenden und einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, wie ihn alle anderen Staaten der Euro-Zone längst haben. "In diesen entscheidenden Punkten kneift Frau Merkel", sagte der Fraktionschef. Was zudem die Vereinheitlichung der Rente mit 67 mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun habe, wisse er nicht. "Die Kanzlerin geht nur einen halben Schritt in die richtige Richtung", kritisierte Trittin. Jeder wisse, dass man wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa brauche. "Die FDP geht da aber nicht mit, und weil das so ist, geht die Kanzlerin den Schritt nicht zu Ende."