Die Meuterei-Vorwürfe auf dem Marine-Segelschulschiff “Gorch Fock“ sorgen für Entsetzen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, reagierte bestürzt, warnte aber vor Vorverurteilungen.
Die Vorwürfe wiegen schwer: Von sexueller Belästigung, Bedrohungen,Druck ist die Rede, auch das Wort Meuterei fällt. Auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“, dem Aushängeschild der Marine, ist es nach dem Tod einer Kadettin imNovember zu schweren Konflikten zwischen Stammbesatzung und Offiziersanwärtern gekommen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verlangte am Donnerstag „rückhaltlose Aufklärung“. Aufschluss erhofft er sich von einem Ermittlungsteam, das die Vorgänge aufklären soll. Die „Gorch Fock“ kehrte indes um und nahm Kurs auf ihren letzten Hafen Ushuaia in Argentinien, wo sie auf die Untersuchungskommission warten soll. Das Team wird laut Ministerium noch zusammengestellt und soll sich dann auf den Weg machen. Unklar war zunächst, wann es inArgentinien an Bord geht. Den Anstoß für die Untersuchungen hat ein Brief des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus gegeben. Darin berichtet er unter Berufung auf Eingaben und Gespräche mit Offiziersanwärtern, dass die Stammbesatzung Auszubildende bedroht und sexuell belästigt habe. Außerdem geht es um Meuterei-Vorwürfe. Nach dem tödlichen Unfall hätten viele nicht mehr aufentern (in die Takelage klettern) wollen, heißt es in dem Schreiben. Dennoch sei starker Druck auf die Kadetten ausgeübt worden. Vier Offiziersanwärter hätten wegen „Meuterei und Aufhetzens“ von der Ausbildung abgelöst und nach Deutschland zurückgeflogen werden sollen. Königshaus stellte aber am Donnerstag klar: „Es gab keine Meuterei“. Dem Fernsehsender N24 sagte er weiter:„Es gab einige, die dort gesagt haben: Vor dem Hintergrund dieses tragischen Unfalls möchten wir nicht zum Tagesbetrieb übergehen. Das wurde von der Schiffsführung nicht gutgeheißen.“ Auch die Marine sträubt sich gegen den Begriff „Meuterei“. „Wir werden jetzt alles Menschenmögliche tun, um den Sachen nachzugehen und das aufzuklären“, sagte Marine-Sprecher Alexander vonHeimann. Die Untersuchungskommission soll zügig und mit gebotener Sorgfalt Gespräche mit allen Beteiligten führen. Die Marine erwartete den Dreimaster noch am Donnerstag gegen 18.00 Uhr deutscher Zeit in der südlichsten Stadt Argentiniens. Das Klettern in die Takelage gehört imBordalltag dazu. „Wenn es heißt Aufentern, dann heißt es aufentern. Da wird nicht diskutiert“, sagte Heimann. Aber in begründeten Einzelfällen werde davon abgesehen. Zu Vorwürfen, nach denen die verunglückte Offiziersanwärterin mit einer Körpergröße von 1,59 Meter nicht in die Takelage hätte klettern dürfen, äußerte sich die Marine zunächst nicht. „Die Untersuchungen in dem Unglücksfall sind noch nicht abgeschlossen“, hieß es. An Bord der „Gorch Fock“ ist derzeit die Stammbesatzung unter Kapitän Norbert Schatz. Die Ausbildung war nach dem tödlichen Sturz der 25-jährigen Offiziersanwärterin ausgesetzt worden. Die anderen Anwärter kehrten nach Deutschland zurück. Ihre Aufgaben wurden von der Stammbesatzung und eingeflogenen Soldaten übernommen, damit der Dreimaster die Fahrt fortsetzen konnte. Ein Ministeriumssprecher sagte: „Es gibt keine Entscheidung, dass die Reise abgebrochen wird.“ Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, warnte vor voreiligen Schlüssen. Man müsse prüfen, ob Sicherheitsbestimmungen verletzt worden seien, sagte Kirsch dem „Hamburger Abendblatt“ (Donnerstag). „Manchmal stellt sich am Ende manches anders dar als am Anfang.“ Kirsch verteidigte das Ausbildungskonzept auf dem Segelschiff. „Es gibt keine bessere Ausbildung als auf einem Schiff, wenn es um den Crew-Gedanken geht.“ Das Konzept werde sich auch in Zukunft bewähren.
Lesen Sie dazu auch den aktuellen Abendblatt-Bericht:
Politiker bestürzt über Vorfälle auf "Gorch Fock"
Die Meuterei-Vorwürfe auf dem Marine-Segelschulschiff "Gorch Fock" sorgen für Entsetzen. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, reagierte bestürzt, warnte aber vor Vorverurteilungen: "Manchmal stellt sich am Ende manches anders dar als am Anfang", sagte Kirsch dem Abendblatt. "Diejenigen, die ihren Dienst ordentlich versehen haben, müssen wir schützen. Diejenigen, die aber ein Fehlverhalten an den Tag gelegt haben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden." Man müsse prüfen, ob Sicherheitsbestimmungen verletzt worden seien. "Wenn es so war, dann geht das zulasten der Ausbilder", stellte Kirsch fest.
Nachdem im November eine 25-jährige Offiziersanwärterin aus der Takelage gestürzt und tödlich verunglückt war, hatten sich andere Kadetten geweigert, ebenfalls in die gut 30 Meter hohen Masten zu klettern. Von Ausbildern kam dann massiver Druck, gegen vier Kadetten wurde an Bord der Vorwurf von Meuterei laut, wie jetzt aus einem Bericht des Wehrbeauftragten hervorgeht.
Der Bundeswehrverbandsvorsitzende Kirsch stellte sich zugleich hinter das Ausbildungskonzept auf dem Segelschulschiff. "Es gibt keine bessere Ausbildung als auf einem Schiff, wenn es um den Crew-Gedanken geht. Das hat sich über viele Generationen bewährt, und es wird sich auch in Zukunft bewähren", so Kirsch. Die "Gorch Fock" sei ein Markenzeichen der Marine. "Es ist bedauerlich, dass dieses tolle Schiff so schlechte Schlagzeilen bekommt", sagte er weiter. "Aber wo Menschen sind, menschelt es auch."
Auch Politiker von FDP und Union verlangen die Aufklärung der Meuterei-Vorwürfe auf der "Gorch Fock". Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, sagte dem Abendblatt: "Die Frage ist nicht, ob die Ausbildung zu gefährlich ist. Entscheidend ist vielmehr: Ist die Ausbildung auf einem Segelschiff heute noch zeitgemäß oder nicht?" Der Hamburger FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen, Mitglied im Verteidigungsausschuss, betonte im Abendblatt: "Die Marine war bisher bekannt für ihre vorbildliche menschliche Führung." Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, müssten sie mit entsprechender Härte verfolgt werden.
Der tödliche Unfall in Brasilien war bereits der siebte seit Indienststellung des Dreimasters vor fast 53 Jahren, und der zweite unter dem Kommando von Kapitän zur See Norbert Schatz, seit dieser 2006 die Führung übernommen hatte. 2008 war die Offiziersanwärterin Jenny B. kurz vor ihrem 19. Geburtstag nachts vor der Insel Norderney über die 1,60 Meter hohe Reling in die Nordsee gestürzt. Auch 2002 und 1998 waren bereits junge Soldaten aus der Takelage gefallen und an ihren Verletzungen gestorben.