Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt über seine Erwartungen für 2011, die Krise der Liberalen und Prognosen für den Arbeitsmarkt.

Hamburg. Dieter Hundt ist enttäuscht von der Regierungskoalition und warnt vor Stillstand im Superwahljahr. Seine Erwartungen an Union und FDP formuliert der Arbeitgeberpräsident im Abendblatt-Interview.

Hamburger Abendblatt:

Herr Hundt, der Bundesrat hat am Freitag die Hartz-IV-Reform der Bundesregierung gestoppt. Mündet der Herbst der Entscheidungen, den Kanzlerin Merkel ausgerufen hatte, in einen Winter des Stillstands?

Dieter Hundt:

Die Vorschläge von Frau von der Leyen zu Hartz IV sind meines Erachtens gut und angemessen. Die vorgesehenen Regelsätze und das Bildungspaket für Kinder erfüllen nach meiner Beurteilung auch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Die Lösung darf jetzt im Vermittlungsausschuss nicht verwässert werden.

Was gilt es zu vermeiden?

Hundt:

Es muss auf jeden Fall verhindert werden, dass zusätzliche Kosten entstehen, die den Staatshaushalt, die Unternehmen und die Arbeitnehmer belasten. Es sollte möglichst wenig am Vorschlag der Bundesarbeitsministerin verändert werden. Vielmehr muss eine Lösung gefunden werden, die zum 1. Januar in Kraft treten kann.

Sind Sie mit den Regierungsentscheidungen der vergangenen Wochen insgesamt zufrieden?

Hundt:

Einen Herbst der Entscheidungen stelle ich mir schon etwas anders vor. Manches geht in die richtige Richtung, etwa die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke oder der Maßnahmenkatalog zur Steuervereinfachung. Dagegen ist die Gesundheitsreform nicht gelungen: Acht der elf Milliarden Euro, die 2011 im Gesundheitswesen fehlen, werden über Beitragserhöhungen und Steuergelder hereingeholt. Das widerspricht dem Koalitionsvertrag und ist keine Reform.

Damit werden Sie sich fürs Erste zufriedengeben müssen. Sieben Landtagswahlen 2011 bedeuten Dauerwahlkampf ...

Hundt:

Die Regierungskoalition wird bei den anstehenden Landtagswahlen nur Erfolg haben, wenn sie im Bund die richtigen und notwendigen Entscheidungen herbeiführt und die Dinge nicht vor sich herschiebt. Ich bedaure, dass die Regierungskoalition noch keine gesetzliche Regelung zur Sicherung der Tarifeinheit gefunden hat. Wir brauchen auch dringend eine Erstreckung des Mindestlohns in der Zeitarbeit auf ausländische Anbieter sowie einen erleichterten Zuzug für ausländische Fachkräfte.

Die CSU erklärt den Fachkräftemangel zur Fata Morgana und warnt vor Zuwanderung in die Sozialsysteme. Wie wollen Sie Horst Seehofer überzeugen?

Hundt:

Wir müssen zunächst unsere eigenen Potenziale nutzen. Wir müssen die Aus- und Weiterbildung stärken und Frauen sowie Ältere besser in den Arbeitsmarkt integrieren. Darüber hinaus benötigen wir auch eine gezielte Zuwanderung. Vor allem in den naturwissenschaftlich-technischen Branchen reicht unser eigenes Fachkräftepotenzial nicht aus. Schon heute fehlen in diesen Bereichen rund 85 000 qualifizierte Arbeitskräfte, und durch die demografische Entwicklung wird der Bedarf weiter vergrößert. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir den Fachkräftemangel vermindern - auch mit Zuwanderung. Leider kommt die schwarz-gelbe Regierung auch in dieser Frage nicht voran.

Welche Schritte fordern Sie?

Hundt:

Es ist dringend erforderlich, die bürokratische Einzelfall-Vorrangprüfung zumindest für Mangelberufe auszusetzen. Auch muss die Einkommensgrenze, ab der nicht geprüft wird, ob eine Stelle mit einem inländischen Bewerber besetzt werden kann, von 66 000 Euro auf 40 000 Euro sinken. Außerdem sollten ausländische Absolventen deutscher Hochschulen, die einen Arbeitsplatz gefunden haben, eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive in unserem Land erhalten.

Ist Deutschland ein Zuwanderungsland?

Hundt:

Deutschland braucht Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften. Dafür muss sich Deutschland öffnen und attraktiver werden. Wir brauchen eine Willkommenskultur.

Sollte der Staat wieder ausländische Arbeitskräfte anwerben?

Hundt:

Das ist Angelegenheit der Unternehmen.

Können Sie in der Fachkräftefrage auf die Unterstützung der FDP bauen?

Hundt:

Sie hat sich bisher leider nicht durchsetzen können.

In Umfragen liegt die FDP seit Wochen an der Fünf-Prozent-Marke - und der Führungsstreit eskaliert. Vorstandsmitglied Kubicki warnt davor, dass die FDP in sich zusammenfällt wie die DDR. Können Sie sich die deutsche Politik ohne die Liberalen vorstellen?

Hundt:

Das kann ich nicht. Wir brauchen die FDP als wirtschaftlich orientierte Größe in der Politik.

Wie kann die Partei aus der Krise finden?

Hundt:

Darüber müssen die Gremien der Partei diskutieren. Nach meiner Überzeugung hilft der FDP ein klarer liberaler Kurs - etwa bei der Tarifeinheit.

Was verstehen Sie darunter?

Hundt:

Die Arbeitgeberverbände fordern gemeinsam mit den Gewerkschaften, dass eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit erfolgt. In einem Betrieb darf für die gleiche Arbeitnehmergruppe nur ein Tarifvertrag gelten - und während der Laufzeit muss Friedenspflicht bestehen. Es kann nicht sein, dass einzelne Interessengruppen Spartengewerkschaften gründen und dann gegen die Mehrheit der Belegschaft und gegen das Unternehmen ihre Individualinteressen durchdrücken. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, bekommen wir Verhältnisse wie im England der Siebzigerjahre. Das führt zu einer Zerbröselung der Tarifautonomie.

Sie kennen Guido Westerwelle persönlich. Haben Sie manchmal Mitleid mit dem FDP-Chef?

Hundt:

Politik ist ein hartes Geschäft. Da muss man auch mal was einstecken. Ich weiß als Aufsichtsratsvorsitzender des VfB Stuttgart, wovon ich rede.

Der VfB Stuttgart hat den Trainer ausgetauscht.

Hundt:

Ich denke, dass die FDP mit Guido Westerwelle an der Spitze wieder Tritt fassen kann. Voraussetzung ist, dass er liberale Politik entschlossen vorantreibt.

Deutschland erlebt nach überstandener Wirtschaftskrise ein Jobwunder. Wird es sich 2011 fortsetzen?

Hundt:

Wir haben in diesem Jahr eine positive wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen, die alle Erwartungen weit übertrifft. Ein Wachstum von 3,5 Prozent und mehr haben selbst die kühnsten Optimisten nicht vorhergesagt. Im kommenden Jahr wird sich das Exportwachstum etwas verlangsamen. Insgesamt wird das Wachstum aber wieder deutlich über zwei Prozent liegen. Ich denke, dass wir Ende 2011 das Niveau vor der Krise wieder erreicht haben werden.

Die Arbeitslosenquote liegt bereits unter dem Wert vor 2008.

Hundt:

Ich bin davon überzeugt, dass sich der Arbeitsmarkt weiterhin positiv entwickelt. Wir werden 2011 im Schnitt unter der Drei-Millionen-Marke liegen.

Herr Hundt, worauf stoßen Sie zum Jahreswechsel an?

Hundt:

Ich verbringe den Jahreswechsel wie üblich mit meiner Familie in den Bergen, hoffentlich bei möglichst viel Schnee. Anstoßen werde ich auf dreierlei: auf das Wohl und die Gesundheit meiner Familie, auf die Fortsetzung des Aufschwungs und auf den Klassenerhalt des VfB Stuttgart.