Wehrpflicht fällt zum 1. Juli 2011. Unis erwarten Studentenansturm, während den Sozialdiensten die Zivildienstleistenden fehlen.
Berlin. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik wurde am Freitag eine deutsche Kampfeinheit dauerhaft in Frankreich stationiert. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und sein französischer Kollege Alain Juppé nahmen in Straßburg feierlich die Parade des Jägerbataillons 291 der Bundeswehr ab. Die Soldaten treten ihren Dienst an in der deutsch-französischen Brigade, der weltweit einzigen binationalen Militäreinheit.
Während die einen antreten, treten die anderen ab. In ihrem letzten Spitzentreffen vor der Weihnachtspause einigte sich die Bundesregierung auf die Aussetzung der Wehrpflicht für Männer zum 1. Juli kommenden Jahres. Somit ist sie faktisch abgeschafft, im Grundgesetz bleibt sie jedoch erhalten.
Mit der beschlossenen Aussetzung ist nun die Debatte über die Folgen für die Universitäten und das Sozialsystem neu entfacht. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) geht von 34.600 bis 59.000 zusätzlichen Studienanfängern aus, wenn der Pflichtdienst ausbleibt. Jeder zusätzliche Studienplatz verursacht Kosten von 26.000 Euro. Im Moment teilen sich Bund und Länder die Belastungen. Und die nehmen zu. Bereits jetzt hat die Zahl der Studienanfänger Rekorde erreicht. Die doppelten Abiturjahrgänge durch das achtjährige Gymnasium verschärfen die Situation an den Hochschulen. CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich regte an, das Bundesbildungsministerium solle die Extrakosten tragen und die Länder dadurch entlasten. Er sprach von einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) habe schließlich einen "Riesenhaushalt". Bund und Länder hatten vor einigen Jahren im Hochschulpakt vereinbart, die Zahl der Studienplätze auszubauen. In einem ersten Schwung von 2007 bis 2010 sollten Plätze für 91 000 zusätzliche Hochschüler entstehen, in einem zweiten Schwung bis 2015 insgesamt 275.000 weitere Studienplätze. Dies wird nun nicht mehr ausreichen.
Die Bildungsministerin sieht allerdings momentan keine Notwendigkeit, sich vom Hochschulpakt abzukehren. "Der Bund steht zum Hochschulpakt", sagte Schavan dem Hamburger Abendblatt. Für die zusätzlichen Studierenden "müssen Kapazitäten geschaffen werden, die jungen Leute dürfen nicht in die Warteschleife geschickt werden". Kürzungen in den Länderhaushalten für die Hochschulen würden sich damit nicht vertragen. Schavans Sprecherin ergänzte, die Bundesregierung werde den Hochschulpakt zusammen mit den Ländern weiterentwickeln.
Auch der Generalsekretär der GWK, Jürgen Schlegel, sieht keine Notwendigkeit, den Hochschulpakt zu ändern. Er sei flexibel genug, um auch auf diese neuen Studienanfänger angemessen zu reagieren. "Zudem ist ungewiss, wie viele Studierende am Ende zusätzlich an die Universitäten kommen und wie viele den geplanten Freiwilligendienst im Sozialwesen antreten", sagte Schlegel dem Abendblatt.
Denn auch dort wirkt der Wegfall der Wehrpflicht nach. Mit ihm verschwinden auch die Zivis aus den sozialen Einrichtungen. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) will 35 000 Menschen für einen neuen Dienst gewinnen, die gleiche Anzahl Freiwilliger soll aus Initiativen wie dem Freiwilligen Sozialen Jahr oder dem Freiwilligen Ökologischen Jahr kommen. "Die Aussetzung der Wehrpflicht ist eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen der vergangenen 20 Jahre", sagte Schröder. Der Bund will die Dienste mit 350 Millionen Euro pro Jahr fördern. 50 Millionen Euro stammen aus der bisherigen Förderung der Jugendfreiwilligendienste und 300 Millionen Euro aus den bisherigen Mitteln für den Zivildienst.
Die Sozialverbände üben Kritik an Schröders Plänen. So treffe der Wegfall des Zivildienstes Organisationen wie die Diakonie besonders dort, wo die Zivis im Dienst am Menschen, bei der Pflege und Betreuung, im Einsatz sind. "Die Freiwilligendienste alleine werden den Zivildienst nicht kompensieren können", sagte Kerstin Griese, Vorstand Sozialpolitik des Diakonischen Werkes, dem Abendblatt. Einige Zivildienstplätze müssten sicher durch zusätzliches Personal und durch ehrenamtliches Engagement ausgeglichen werden.
Mit der Aussetzung der Wehrpflicht geht ein Kapitel der deutschen Geschichte zu Ende. Nach Vorstellungen der Koalition schrumpft die Bundeswehr von 250.000 auf 185.000 Soldaten. Davon sollen 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sein, 15.000 sollen freiwillige Wehrdienstleistende sein. Eine heikle Frage will Guttenberg allerdings erst im März klären: Welche Standorte werden geschlossen? Entstanden ist die Wehrpflicht in Deutschland übrigens erstmals 1814 - im Zuge der Freiheitskriege gegen Frankreichs Kaiser Napoleon. Sie funktionierte nach französischem Vorbild.