Gewerkschaft nennt Koalitionspläne “einen Witz“. Wehrpflicht wird zum 1. Juli ausgesetzt
Berlin. Für den Bürger klingt es gewaltig: Die Regierung will Bürger und Unternehmen um 4,6 Milliarden Euro entlasten. In einem 41 Punkte umfassenden Katalog legte die Koalition einfachere Steuerregeln und weniger Bürokratie fest. Es scheint wie ein wuchtiges Entlastungspaket am Ende eines Regierungsjahres. Doch der Nutzen dieses Maßnahmenpakets ist für die Arbeitnehmer begrenzt. Hauptnutznießer ist dabei die Wirtschaft mit einer Kostenersparnis von rund vier Milliarden Euro durch Entbürokratisierung. Nur 590 Millionen Euro entfallen auf Steuervereinfachungen.
Die Anhebung von derzeit 920 auf 1000 Euro ist einer der zentralen Punkte bei der Vereineinfachung des Steuerrechts. Steuerzahler müssen dadurch nicht nur weniger Quittungen für die Werbungskosten einreichen, Arbeitnehmer mit keinen oder geringen Werbungskosten werden auch entlastet.
Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, kritisierte die geplanten Steuervereinfachungen als unzureichend. Der Bürger müsse weiter Belege sammeln, weil er nicht wissen könne, ob er am Ende des Jahres "950 oder 1050 Euro" Werbungskosten haben werde. Eine Vereinfachung bedeute die Regelung zudem nur für denjenigen, der mit seinen Werbungskosten zwischen 920 und 1000 Euro lande. Für andere Arbeitnehmer ändere sich nichts.
Die Grünen-Obfrau im Bundestags-Finanzausschuss, Lisa Paus, bezifferte den Vorteil durch die Erhöhung der Werbungskostenpauschale auf 25 Euro im Jahr für einen Durchschnittsverdiener. Das Vorhaben der Regierung, dass die Steuererklärung nur noch alle zwei Jahre abgegeben werden müsse, wenn sich zum Vorjahr nichts verändert habe, nannte Gewerkschaftschef Ondracek "schlicht ein Witz". Die meisten Arbeitnehmer bekämen Geld zurück. "Die warten nicht zwei Jahre, die wollen das Geld sofort haben."
Nur eine knappe Stunde nach Beginn des Spitzentreffens in Berlin waren sich Union und FDP offiziell über die Pläne zur Steuervereinfachung einig. Der Beschluss darüber fiel ohne die Anwesenheit von CSU-Chef Horst Seehofer, der wegen des Winterwetters in Bayern seine Teilnahme absagen musste. Seehofer und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt steckten in Bayern auf der Autobahn in einem Stau fest. Die Christsozialen waren nur mit ihrem Berliner Landesgruppenvorsitzenden Hans-Peter Friedrich vertreten.
Trotz der Harmonie bei den Steuerplänen herrschte über die seit Wochen andauernden Konflikte über Fachkräftemangel und Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 auch vor dem Treffen im Kanzleramt Gerangel zwischen den Koalitionären. Dennoch einigte sich der Koalitionsgipfel am späten Abend darauf, die Wehrpflicht zum 1. Juli nächsten Jahres auszusetzen, erfuhren mehrere Nachrichtenagenturen aus Teilnehmerkreisen. Dafür wird ein Freiwilligendienst für die Bundeswehr eingeführt. Zuvor hatte es aus Koalitionskreisen noch geheißen, das Treffen diene nur dazu, Argumente auszutauschen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) plant, die Personalstärke von 240 000 auf 185 000 Soldaten zu verringern. In der Koalition ist dieses Ziel unstrittig.
Alles andere als harmonisch ging es bei der Debatte um Zuwanderung zu. Damit mehr ausländische Fachkräfte beschäftigt werden können und Engpässe in Deutschland abgefedert werden, wollte die FDP die Mindesteinkommensgrenze für ausländische Kräfte von 66 000 Euro auf 40 000 Euro absenken. Das lehnten CDU und CSU bisher ab. Ferner ging es um die Vorrangprüfung, durch die Unternehmen zunächst nach Experten im Inland suchen müssen, bevor sie Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland holen.
Trotz der Differenzen bei den künftigen Regelungen für Zuwanderer zeigte sich die CSU kurz vor dem Treffen kompromissbereit: "Die CSU hat nichts dagegen, in bestimmten Ausnahmefällen branchenspezifisch, berufsspezifisch oder regional Vorrangprüfungen überflüssig zu machen", sagte ein Sprecher der Partei dem Abendblatt. Überflüssig könne sie beispielsweise dadurch werden, dass man für einen bestimmten Beruf generell einen vorrangigen Bedarf erkläre, so der Sprecher. Damit werde eine Einzelfallprüfung durch eine allgemeine Anordnung der Arbeitsverwaltung ersetzt. Das sei eine bürokratische Vereinfachung, ohne dass eine Gesetzesänderung nötig sei.
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will die Hürden für einige Berufe senken. So plant sie unter anderem, die "Vorrangprüfung" befristet auszusetzen, und plädiert dafür, die Mindestverdienstgrenze für Zuwanderer von derzeit 66 000 Euro zu senken.