Mehr Studienanfänger gab es noch nie. Mit der Wehrreform verschärft sich das Platzproblem
Hamburg. Es könnte in den kommenden Jahren eng werden in den Hörsälen der deutschen Universitäten. Wer das nicht glaubt, muss nur nach Paderborn blicken. Dort finden die Seminare teilweise in schlecht beheizten Zelten statt. In Kassel unterrichten Professoren in einer Kirche. Der Ansturm auf die Hochschulen in Deutschland nimmt zu. Allein im vergangenen Jahr starteten rund 443 000 Erstsemester ein Studium, wie das Statistische Bundesamt gestern mitteilte. Dies waren vier Prozent mehr als 2009. Die Gesamtzahl der Studenten erreicht damit einen neuen Rekordwert von 2,2 Millionen.
Und das Problem überfüllter Hörsäle wird sich im kommenden Jahr noch verschärfen. Bayern und Niedersachsen entlassen 2011 ihre doppelten Abiturjahrgänge, sieben weitere Bundesländer folgen bis 2016. Doch nicht nur das. Auch die geplante Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 wird laut Experten zu einer erheblichen Belastung der Hochschulen führen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will die Wehrpflicht auch aus finanziellen Gründen schnellstmöglich aussetzen. Das Bundesbildungsministerium ist alarmiert. Ministerin Annette Schavan (CDU) hatte bereits mehrfach davor gewarnt, dass die im Hochschulpakt vorgesehenen 275 000 zusätzlichen Plätze für Studienanfänger bei einer Aussetzung der Wehrpflicht nicht ausreichen würden. Die Beratungen zwischen den beiden Ministerien laufen. Strittig ist dabei offenbar der genaue Zeitpunkt, zu dem die Wehrpflicht ausgesetzt wird. "Wir hoffen, dass wir noch in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf zur Aussetzung der Wehrpflicht vorlegen können. Derzeit finden hierzu ressortübergreifende Gespräche mit dem Familienministerium und dem Bildungsministerium statt", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dem Hamburger Abendblatt.
Bei einer Aussetzung der Wehrpflicht müssen die Hochschulen mit etwa 60 000 zusätzlichen Studienanfängern in den nächsten vier Jahren rechnen, sagt Dieter Dohmen, Direktor des privaten Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS), dem Abendblatt. Die Hochschulrektoren rechnen mit einem Plus von 30 000 bis 40 000 Studienanfängern durch die Wehrreform. Die Zahlen variieren, denn es lässt sich nur schwer voraussagen, wie viele der jungen Männer direkt nach der Schule ein Studium beginnen, würden Wehrpflicht und Zivildienst wegfallen. Laut einer ersten Berechnung durch CHE Consult, ein Beratungsunternehmen für Hochschulen, geht 2011 etwa ein Drittel, also 15 000 bis 18 000 dieser Abiturienten, direkt nach der Schule an die Universitäten.
Und nicht nur die Bildungsministerin warnt in Anbetracht dieser Zahlen vor überfüllten Seminaren. Auch die Opposition fordert Konsequenzen für den Hochschulpakt von Bund und Ländern. So schlägt der SPD-Bildungsexperte Ernst Dieter Rossmann einen neuen "Hochschulpakt II Plus" vor. "Darin sollen die Universitäten noch einmal einen zusätzlichen Gesamtbetrag von eine Milliarde Euro, verteilt über mehrere Jahre, für Räume und Lehrkräfte erhalten", sagte Rossmann dem Abendblatt. Auch Priska Hinz von den Grünen will den Hochschulpakt erweitern. "Wir wollen bis 2015 rund 410 000 zusätzliche Studienplätze schaffen", sagte die Bildungsexpertin dem Abendblatt.