Ein Ein-Euro-Jobber, ein Pärchen auf dem Weihnachtsmarkt und zwei Polizisten sprechen über das, was ihnen wirklich Angst macht

Herr Wechterowicz sitzt am Nabel der Stadt. Mittendrin, direkt unter dem Rathausplatz, 50 Meter vom Rathaus entfernt. In der Passage, 25 Treppenstufen unter der Erdoberfläche, nennen ihn alle nur Fritz. Fritz ist 60 Jahre alt. Er steht am Schalter der Hamburg-Info und gibt Tipps zum Stadtgeschehen. Manchmal verkauft er auch eine Postkarte oder ein kleines Souvenir.

Und manchmal nimmt er Gepäckstücke entgegen. Koffer, Beutel, Tüten, die er in Schließfächern hinter dem Tresen aufbewahrt. Er ist ein nachdenklicher Mensch. Einer, der viel weiß. Der Zeitung liest, Nachrichten anschaut. Er hat natürlich von den Terrorwarnungen gehört. Und dass es Bomben gibt, die in Taschen deponiert und dann irgendwo abgegeben werden. Er sagt: "Ich habe keine Angst."

Oben auf dem Platz stehen die Holzbuden des Weihnachtsmarktes. Es gibt Glühwein und Lebkuchen, Bratwürstchen und Tiroler Strudel. Die Menschen mögen das. Sie drängen sich an den Tresen. Die Stimmung ist gut. Die Terrorwarnungen der Behörden sind weit weg. "Alles nur Panikmache", sagt Jürgen vom Esskastanien-Stand. Er ist 46 Jahre alt und glaubt, "dass eh alles vorbestimmt ist". An der Friesenschänke steht ein junges Pärchen. Franziska Zeidler und René Häusinger wärmen sich an einem Glühwein. "Wir fühlen uns sicher", sagen sie. "Wenn man weiß, dass gerade die Weihnachtsmärkte in Gefahr sein sollen, dann passiert, wenn überhaupt, woanders etwas."

Unten in der Passage sitzt Fritz mit seinen Kollegen. Im Schein der Neonröhren leuchten Plakate der Bundesgemeinschaft Arbeit (bag), auf denen steht: "In Hamburg sollen mehrere Tausend Ein-Euro-Jobs wegfallen. Damit verlieren Zehntausende ihre vielleicht einzige Chance." Ein anderes wirbt für die Chagall-Ausstellung "Lebenslinien". Fritz sieht die Poster jeden Tag. Morgens um zehn, wenn er in die Passage kommt. Er hätte nie gedacht, dass seine eigene Lebenslinie und die Botschaft der bag einmal so eng miteinander verknüpft sein würden. Fritz hat einen Ein-Euro-Job. Vor sechs Jahren hat er seine Arbeit als Vertriebsleiter bei einem Verlag verloren. Weil er mit 54 Jahren zu alt für das Unternehmen war. Er hat sich eine Tätigkeit in der Rathauspassage gesucht, weil er nicht einfach so zu Hause rumsitzen konnte. "Davor", sagt er, "habe ich Angst." Vor dem Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Es bedrückt ihn, dass seine Beschäftigung nur befristet ist. "Nächstes Jahr ist Schluss", sagt er. Der Gedanke schnüre ihm die Kehle zu. Und dann sei da noch die Angst vor dem sozialen Abstieg im Alter. 800 Euro Rente wird Herr Wechterowicz bekommen, wenn er 67 Jahre alt ist. Allein 500 Euro gehen dann für die Miete seiner Zweizimmerwohnung in Barmbek-Süd weg. Wie er über die Runden kommen soll, wisse er nicht.

Sein Kollege Arthur ist 24 Jahre alt. Er hat 2008 seine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann abgeschlossen. Er hatte einen befristeten Vertrag, der vor einem Jahr ausgelaufen ist. Seitdem ist Arthur arbeitslos. Die Terrorwarnungen des Bundesinnenministers sind für ihn "kein Problem". "Ich habe keine Angst, höchstens vor Krankheit." Und dass er die Zeit, die er hat, nicht nutzt. Vor zwei Jahren ist sein bester Freund gestorben. Er war 25 Jahre alt und hatte Krebs. Neun Monate hat er noch gelebt, nach der Diagnose. Der Freund starb geschwächt von Chemotherapien und Medikamenten an einer Lungenentzündung. "Ich will das Leben genießen", sagt Arthur. Was das für ihn bedeutet? "Am Hafen zu sitzen, mit einem Freund ein Bierchen zu trinken, ein gutes Gespräch zu führen."

Oben auf dem Rathausplatz gehen zwei Sicherheitsbeamte der Polizei Streife. "Wenn die Leute uns hier sehen, haben sie sofort den Terrorgedanken im Kopf", meint einer von ihnen. Fritz lächelt und sagt: "Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit." Dann erzählt er die Geschichte vom Kölner Dom. Von einem Dachdecker, der Ende der 80er- Jahre vom Kirchendach gestürzt sei und überlebt habe, weil ein Auto ihn abgefangen habe. "Vier Monate nach dem Unfall hat dieser Mann mit seiner Enkelin gespielt. Das kleine Mädchen riss seinen Opa vom Stuhl. Er kippte nach hinten und brach sich das Genick."