Katholische Kirche sieht keine Kehrtwende in den Ausnahmeregeln für die Anwendung von Kondomen. Reformer hoffen auf neuen Kurs.
Hamburg/Rom. Der Münchner Journalist Peter Seewald gilt als glühender Verehrer von Papst Benedikt XVI . Dessen Charisma war es wohl auch, der Seewald zum Wiedereintritt in die katholische Kirche veranlasste - nachdem der frühere Oberministrant aus einer tief religiösen Passauer Familie sich vehement von ihr abgewandt und gar Marxist geworden war.
Von seinem nun in acht Sprachen erscheinenden Buch mit dem bezeichnenden Titel "Licht der Welt: Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit", das Seewald im letzten Sommer in tagelangen Gesprächen mit dem Papst in dessen Residenz Castel Gandolfo erarbeitete, hatte man nur ein weiteres wohlwollendes Porträt des deutschen Pontifex erwartet - ganz gewiss aber keinen ersten Riss in der eisernen katholischen Sexualethik.
Die Vatikan-Zeitung "L'Osservatore Romano" hatte vorab einige Passagen des Interviews veröffentlicht, die weltweit mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis genommen wurden und eine lebhafte Reform-Debatte über Kernelemente der katholischen Moraltheologie entfacht haben. Sagte der Papst darin doch tatsächlich, der Gebrauch von Kondomen sei "in begründeten Einzelfällen" statthaft. Auch wenn die Kirche Kondome "natürlich nicht als wirkliche und moralische Lösung" ansehe, könnten sie "in dem einem oder anderen Fall" in der Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern, "ein erster Schritt sein auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität".
Benedikt XVI. nennt als Beispiel männliche Prostituierte, bei denen es um die Verhinderung der Ausbreitung des Aids-Virus HIV gehen könne. In solchen Fällen wirke der Gebrauch von Kondomen moralisierend und könne helfen, das Bewusstsein zu entwickeln, "dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will".
Weltweit brandete daraufhin Beifall auf, wenn auch nicht eben bei konservativen Klerikern. Manche Schlagzeile verkürzte die Einlassung des deutschen Pontifex allerdings auf "Papst erlaubt Kondome". Davon kann generell keine Rede sein; die Beschränkung auf männliche, in der Regel überwiegend homosexuelle Prostituierte umfasst nur einen winzigen Ausschnitt menschlichen Sexualverhaltens und gilt vor allem nicht für die Empfängnisverhütung. Hastig verweisen konservative Kirchenführer darauf, dass diese Ausnahmen in der katholischen Moraltheologie bereits seit 40 Jahren bekannt seien. Es liege somit keine Meinungsänderung der Kirche und schon gar keine Revolution vor.
Doch ganz so liegt der Fall nicht. Im vergangenen Jahr hatte Benedikt noch auf einer Afrika-Reise gesagt, das Problem Aids könne nicht mit der Verteilung von Kondomen gelöst werden - im Gegenteil, dies verstärke es nur weiter.
Für die Kritiker des deutschen Papstes war er da wieder, der "Panzerkardinal" Joseph Ratzinger, der als ehemaliger Präfekt der Glaubenskongregation jahrelang hartleibig für den Schutz der Kirche vor abweichenden Glaubensvorstellungen gesorgt hatte. Immerhin ist diese 1542 gegründete Kongregation die Nachfolgerin der entsetzlichen Inquisition, der Hunderttausende als Ketzer oder Hexen Verdächtige zum Opfer gefallen waren.
Bei der Wahl Joseph Ratzingers zum 265. Oberhaupt der katholischen Kirche am 19. April 2005 hatten die meisten Reformer ihre Hoffnungen begraben. Zu sehr galt Ratzinger, Sohn des bayerischen Gendarmeriemeisters Joseph und der Köchin Maria, als Bewahrer der alten kirchlichen Traditionen. Doch selbst Benedikts alter Widersacher, der streitbare Schweizer Priester und Theologe Hans Küng, dem Ratzinger 1979 die Lehrerlaubnis entziehen ließ, zollte dem Papst in der "Süddeutschen Zeitung" zähneknirschend Respekt. Es sei "lobenswert, dass der Papst es wagt, von der bisherigen offiziellen Linie abzurücken". Auch wenn dies nur das Eingeständnis sei, dass diese Lehre nicht länger aufrechterhalten werden könne. Eine grundsätzliche Wende wäre es laut Küng erst, wenn Benedikt nicht nur männlichen Prostituierten eine Antwort gäbe, sondern auch heterosexuellen Ehepartnern. Doch der Papst könne dies nicht tun, denn er sitze in der "Unfehlbarkeitsfalle".
Damit verweist Küng einerseits auf das erst 1870 von Pius IX. verkündete Dogma von der Unfehlbarkeit der Päpste und zum anderen auf die berühmt-berüchtigte Enzyklika "Humanae Vitae" von Papst Paul VI. vom 25. Juli 1968. In dieser maßgeblich von Karol Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II., gestalteten Enzyklika wird der Liebesakt nur in der Ehe und nur dann, "wenn er für die Weitergabe des Lebens offen bleibt", als sittlich angesehen.
Damit sind Verhütungsmittel wie Kondome und Pillen für gläubige Katholiken tabu. Selbst wenn er es wollte, könnte Benedikt diese Enzyklika nicht einfach aufheben, ohne zudem einen Riss in der Kirche zu riskieren.
Doch mit der erstmaligen Sanktionierung von Kondomen durch einen Papst überhaupt, und dies in einer nicht offiziellen Veröffentlichung, hat ausgerechnet der 83-jährige Traditionalist Benedikt mit taktischer Raffinesse die Moraltheologie der Kirche für weitergehende Diskussionen geöffnet.