Wirtschaftsinteressen müssen aus Sicht des Ministers militärisch abgesichert werden
Berlin. Es war eine der großen Fragen dieses Sommers: Verteidigt die Bundeswehr bei ihren Auslandseinsätzen nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Wirtschaftsinteressen der Bundesrepublik? Ex-Bundespräsident Horst Köhler (CDU) hatte sie in einem umstrittenen Interview am Rande eines Truppenbesuchs in Afghanistan mit Ja beantwortet - und trat nach heißer Debatte zurück.
Jetzt schlägt Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in dieselbe Kerbe: "Die Sicherung der Handelswege und der Rohstoffquellen sind ohne Zweifel unter militärischen und globalstrategischen Gesichtspunkten zu betrachten", sagte er gestern in Berlin und sprach sich zugleich für einen unverkrampften Umgang mit wirtschaftlichen Interessen in der Sicherheitspolitik aus. Es gelte in gewissen Kreisen immer noch als "überaus verwegen", den Zusammenhang zwischen diesen beiden Bereichen herzustellen, klagte zu Guttenberg. Stattdessen sollte man "offen und ohne Verklemmung" damit umgehen.
Schwellenländer wie China, Indien oder auch Indonesien betrachteten die Durchsetzung nationaler Interessen "als Selbstverständlichkeit", sagte der Verteidigungsminister. Er unterstrich, der Bedarf dieser aufstrebenden Mächte an Rohstoffen steige ständig und trete damit "zunehmend mit unseren Bedürfnissen in Konkurrenz. Dies kann zu neuen Spannung, Krisen und Konflikten führen." Darauf müsse Sicherheitspolitik eine Antwort finden.
In jedem Fall ist das Thema heikel. Schon heute verlieren die Auslandseinsätze der Bundeswehr immer mehr an Rückhalt in der Bevölkerung - und das, obwohl harte und direkte Rhetorik in diesem Zusammenhang immer tunlichst vermieden wurde. Um Menschenrechte geht es in der Kommunikation nach außen meistens, und auch um Bündnisverpflichtungen. Jahre hatte es zudem gedauert, bis aus "kriegsähnlichen Zuständen" ein richtiger "Krieg" geworden war, in den Deutschland am Hindukusch verwickelt ist. Auch das war ein Verdienst zu Guttenbergs, der mittlerweile zu einem der beliebtesten Politiker der Republik avanciert ist. Fraglich ist allerdings, ob die Deutschen auch verkraften können und wollen, dass ihre Soldaten auch für ökonomische Interessen der Bundesrepublik fallen und verwundet werden.
Verteidigungsminister zu Guttenberg erinnerte gestern daran, dass Köhler für seinen Verweis auf den Zusammenhang zwischen Sicherheitspolitik und Wirtschaftsinteressen "fürchterlich geprügelt" worden sei. "Ich frage mich bis heute, was so verwegen an dieser Aussage war", sagte zu Guttenberg. "Ich hätte mir von uns allen etwas mehr Unterstützung in dieser Fragestellung gewünscht." Im Grunde habe Köhler nur etwas Selbstverständliches ausgesprochen.
Guttenberg selbst bekam gestern Unterstützung aus seiner eigenen Fraktion. "Zur Sicherung der Seewege sind wir beispielsweise bei ,Atalanta' im Einsatz, und dies liegt durchaus im deutschen Interesse", sagte der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, dem Abendblatt. Verteidigungsminister zu Guttenberg erinnerte daran, dass 20 Prozent des deutschen Außenhandels über den Seeweg gehen. Insofern sei Piraterie "keine Randnotiz", sondern eine "ernste Herausforderung" für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik.
Kritik an den Äußerungen kam aus der Opposition. "Der Verteidigungsminister begeht denselben Fehler wie damals Horst Köhler", sagte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold dem Abendblatt. "Was er sagt, hat überhaupt keine Substanz und lädt deshalb zu Fehlinterpretationen ein." Das primäre Ziel der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen sei die Stabilisierung des betreffenden Landes. Erst das sei Voraussetzung für Handel - sowohl innerhalb der Staatsgrenzen als auch nach außen. "Wenn dann als Abfallprodukt die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands vertreten werden können, ist das ja auch gut", so Arnold, "aber das darf nicht oberste Priorität sein."
Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour kritisierte die Äußerungen des Verteidigungsministers als "absurd". "Guttenberg muss überprüfen, ob sein Fokus als Verteidigungsminister der Verantwortung seines Amtes gerecht wird", sagte der Grünen-Politiker. Stabilität dürfe nicht zum Vehikel für Wirtschaftsinteressen werden. "Auslandseinsätze sind die Ultima Ratio in der Verteidigungspolitik", fügte er hinzu. Der Linke-Außenpolitiker Wolfgang Gehrke sagte, Guttenbergs Ansicht nach müsse die deutsche Wirtschaft weltweit militärisch betreut werden. Für Wirtschaftsinteressen dürfe aber kein Blut vergossen werden.