Zähes Ringen um Stuttgart 21. EU-Kommission betont Bedeutung des Projekts. Erstmals Gegner und Befürworter an einem Tisch.
Stuttgart. Zum ersten Mal seit Monaten haben sich im Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 Gegner und Befürworter an einen Tisch gesetzt - und sich kurz darauf wieder vertagt. Die Gespräche unter der Leitung des Schlichters Heiner Geißler wurden nach rund zwei Stunden unterbrochen, danach wieder aufgenommen und schließlich wieder gestoppt. Sie sollen nun auf den kommenden Freitag verschoben werden, wie Geißler am Freitag in Stuttgart ankündigte. Die Spitzengespräche zwischen Befürwortern und Gegnern des Milliarden-Bahnprojekts seien künftig öffentlich und nicht mehr hinter verschlossenen Türen. "Wir sind zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen, dass wir diese Schlichtung machen wollen", sagte Geißler. Es werde sich um eine "Fachschlichtung" handeln, um Pro und Contra auszutauschen und nach Möglichkeit zu einer ersten Bewertung zu kommen.
Trotz des geringen Fortschritts besteht nun offenbar zumindest Einigkeit, dass überhaupt weiterverhandelt wird. Wie es zuvor aus Teilnehmerkreisen geheißen hatte, hätten beide Seiten zunächst über die Bedingungen für eine weitere Schlichtung gestritten. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hatte gefordert, dass die Vorarbeiten für das Grundwassermanagement im Schlossgarten während der Gespräche ausgesetzt würden. Bahn-Chef Rüdiger Grube lehnte dem Berliner "Tagesspiegel" zufolge einen Baustopp erneut ab und verwies auf "bestehende Verträge". Zudem würde ein Bau- und Vergabestopp "pro Woche circa 2,5 Millionen Euro kosten, im Monat etwa zehn Millionen Euro". Wer diese Kosten trage, hänge davon ab, wer den Baustopp verantworte. "Wir werden es nicht sein." Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer stützte die Linie der Bahn. "Beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 ist die Bahn ihrerseits zudem im Besitz zahlreicher Vertragsverpflichtungen", sagte der CSU-Politiker dem Hamburger Abendblatt (Interview auf Seite 4).
Aufseiten der Befürworter des mehr als vier Milliarden Euro teuren Bahnhofumbaus sitzen neben Mappus unter anderem die Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU), der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) und Bahn-Vorstandsmitglied Volker Kefer. Aufseiten der Gegner verhandeln unter anderem Winfried Kretschmann, Werner Wölfle (beide Grüne), Gangolf Stocker und Hannes Rockenbauch vom Aktionsbündnis, Peter Conradi (SPD) und die BUND-Landeschefin Brigitte Dahlbender.
Die Gruppe der Befürworter erhielt unterdessen Rückenwind von Industrie und EU-Kommission. EU-Verkehrskommissar Siim Kallas sagte der "Rheinischen Post": "Die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Bratislava ist eine extrem wichtige transeuropäische West-Ost-Achse." Die EU-Kommission lege allergrößten Wert darauf, dass sie gebaut werde. Stuttgart 21 bilde dabei "ein Kernstück dieser Magistrale", betonte der Vizepräsident der Kommission.
Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, hielt dagegen: "Wir stimmen Siim Kallas zu, dass die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Bratislava eine wichtige transeuropäische West-Ost-Achse ist, jedoch ist diese unabhängig von der Art des Bahnhofsumbaus in Stuttgart." Bahnhofsprojekte fielen in nationale, nicht in europäische Zuständigkeit.
Wegen der massiven Proteste gegen Stuttgart 21 und andere Großprojekte fordert die deutsche Wirtschaft, die Einspruchsrechte der Bürger zu begrenzen. "Wir haben im weltweiten Vergleich eine einmalige Beteiligung von Bürgern und Verbänden", sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, der "Berliner Zeitung". "Manchmal müssen wir aber überlegen, ob das nicht zu viel und zu langwierig ist und es am Ende sogar mehr schadet als nützt."
Durch die starke Öffentlichkeitsbeteiligung verlängerten sich die Genehmigungsverfahren derart, dass bei deren Abschluss der technische Fortschritt die Bedingungen wieder grundlegend verändert habe. Keitel beklagte ein latentes Misstrauen in der Bevölkerung, das alle Bereiche der Wirtschaft treffe. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht jeden Investor unter Generalverdacht stellen."