Kern der NATO-Strategien soll die kollektive Verteidigung bleiben, hinzukommen soll eine gemeinsame Raketenabwehr.
Brüssel/Berlin. Fünf Wochen vor dem NATO-Gipfel in Lissabon haben die Außen- und Verteidigungsminister der 28 Mitgliedsstaaten des Bündnisses die Weichen für das neue strategische Konzept gestellt. Kern soll die im Artikel fünf des NATO-Vertrages festgehaltene kollektive Verteidigung bleiben, hinzukommen soll eine gemeinsame Raketenabwehr. Deutschland signalisierte hierfür bereits Zustimmung. „Wir halten den Raketenschirm grundsätzlich für eine gute Idee“, sagte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Donnerstag in Brüssel.
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte zuvor betont, der Schutz der 900 Millionen Bürger in den NATO-Mitgliedsstaaten müsse im Mittelpunkt der Modernisierung des Bündnisses stehen. Dazu gehöre auch die Aufstellung eines Raketenschilds. „Die Gefahr ist da. Die Fähigkeiten dagegen existieren. Und die Kosten sind beherrschbar“, sagte Rasmussen. Jetzt müsse die Entscheidung fallen, ob die NATO alle Mitglieder gegen die Gefahr von Raketenangriffen schützen wolle. „Ich glaube, wir können und sollten die Raketenabwehr zu einer NATO-Fähigkeit für Europa ausbauen.“
Russland soll mit in neue Sicherheitsstruktur
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, forderte die NATO auf, beim geplanten Raketenabwehrsystem eng mit Russland zusammenzuarbeiten. Es gebe die große Möglichkeit, sich mit einem gemeinsamen Verteidigungsprojekt von alten Feindbildern zu verabschieden, sagte er. „Es gibt keinen einzigen Grund, den ich kenne, oder den ich anerkennen würde, der dagegen sprechen würde, dass die USA, die Europäischen NATO-Staaten und Russland sich gemeinsam an die Entwicklung eines Systems machen, mit dem unser Territorium, unsere Bürger verteidigt werden können“, sagte er im Südwestrundfunk.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) stellte sich hinter den Ansatz, bei der Raketenabwehr Russland mit ins Boot zu holen. Es dürfe in Europa „keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit“ geben, sagte der Minister im WDR5-Morgenecho. Im Übrigen sei das jetzt diskutierte Projekt anders als das früher von den USA geplante Raketenschild, das nur mit zwei europäischen Ländern – Polen und Tschechien – verwirklicht werden sollte. Das neue Projekt soll jetzt vom Bündnis getragen und mit einem Angebot an Russland verbunden werden, daran mitzuwirken.
Debatte über Cyber-War
Eine Ausdehnung des Bündnisfalles auf Cyberangriffe lehnte Westerwelle allerdings ab. Solche Angriffe über das Internet zählten sicherlich zu den neuen Bedrohungen. „Aber die berühmte Beistandsklausel von Artikel 5 des Washingtoner Vertrages ist ausdrücklich reserviert für bewaffnete Angriffe“, stellte der FDP-Politiker klar. Das sei nicht zuletzt „eine Frage von verfassungsrechtlicher Relevanz in Deutschland“.
Die stellvertretende Beigeordnete Generalsekretärin für politische Kommunikation bei der NATO, Stefanie Babst, warb indes dafür, den entsprechenden Artikel 5 an neue Bedrohungen anzupassen, beispielsweise bei Angriffen auf nationale Kommunikationssysteme. „Einige Mitglieder im Bündnis sehen das durchaus in sehr, sehr kausalem, engen Zusammenhang mit dem Artikel 5 und könnten sich vorstellen, dass ein solcher Angriff, eine solche Bedrohung dann auch konkret den Bündnisfall nach sich ziehen müsste und sollte“, sagte sie im Deutschlandradio Kultur.
Hintergrund der Neuausrichtung der NATO, die auf dem Gipfel in Lissabon am 19./20. November beschlossen werden soll, sind die neuen weltweiten Bedrohungen und die immer geringer werdenden nationalen Verteidigungshaushalte. Laut Babst wird in der Allianz mit Einsparungen im kollektiven Militärhaushalt von rund zwölf Prozent gerechnet. Vorgesehen ist auch eine Neuordnung der Kommandostrukturen, mit der die Zahl der Hauptquartiere von derzeit elf auf maximal sieben sinken soll. Zudem will das Bündnis künftig enger mit den Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten.
Linke sieht Militarisierung der Außenpolitik
Die Linkspartei lehnte die konzeptionellen Überlegungen bereits ab. Der Außenexperte der Linksfraktion, Wolfgang Gehrcke, kritisierte, dass das Konzept der NATO auf „qualifizierte Aufrüstung“ ausgelegt sei. Zugleich wolle sich die NATO die Zuständigkeit für neue Bereiche sichern und bereite sich auf den Cyber-War vor. Der Außenbeauftragte der Linkspartei, der frühere Parteichef Oskar Lafontaine sagte, Krieg sei kein Mittel der Politik. „Statt einer Bundeswehr, die in aller Welt Kriege führt, fordern wir eine Grünhelm-Truppe, die in aller Welt hilft, Seuchen und Naturkatastrophen zu bekämpfen.“