Auch Befürworter des Bahnprojekts schwenken um. Der Expertenstreit um die Gefahren von Stuttgart 21 geht mit neuen Enthüllungen weiter.
Stuttgart. Auch die Befürworter des umkämpften Mega-Bahnprojekts Stuttgart 21 haben offenbar genug von den heftigen Protesten der Gegner: Der Ruf nach einem vorübergehenden Stopp der Abbrucharbeiten kommt jetzt auch von Baden-Württembergs SPD-Chef Nils Schmid. Er meint: Man solle den Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs für das Spitzentreffen von Bahn, Landesregierung und Projektgegnern aussetzen. „Diese Geste ist naheliegend und durchaus angebracht, um den ernsthaften Willen zu einer möglichen Verständigung deutlich zu machen“, sagte Schmid. „Wenn dies die Bereitschaft zum Dialog tatsächlich erhöht, spricht viel dafür und wenig dagegen.“
Die Projektgegner von den Grünen und im „Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“ erwarten einen Baustopp und hatten dies teilweise als Bedingung genannt, um an dem geplanten Spitzengespräch teilzunehmen.
Vorher hatten bereits die beiden Stuttgarter Bürgermeister Susanne Eisenmann und Martin Schairer (beide CDU) für einen Stopp ausgesprochen. Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) ist jedoch weiter dagegen. Setze man das Projekt nun aus, würde dies „als etwas interpretiert, was nicht ernst gemeint ist“, sagte er dem Deutschlandradio Kultur.
Das Spitzengespräch um Stuttgart 21 ist für den kommenden Freitag (10. September) angesetzt. „Wir fassen diesen Termin ins Auge“, sagte ein Sprecher der Grünen-Fraktion der Nachrichtenagentur dpa. Grünen- Fraktionschef Winfried Kretschmann hatte mit Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) zu dem Treffen eingeladen.
Je länger die Diskussion um das Bahn- und Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 läuft, desto tiefer gründen die Fragen – und das im buchstäblichen Wortsinne. Denn bei dem Milliardenvorhaben wird nicht nur eine neue unterirdische Station gebaut, sondern auch ein 33 Kilometer langer Tunnel. An den neuen Bahnhof im Zentrum schließt sich eine 9,5 Kilometer lange Röhre Richtung Flughafen an.
Die geplanten Ausschachtungen und Bohrungen wecken bei vielen Stuttgartern Ängste und rufen Mahner aus der Fachwelt auf den Plan – von Kratereinstürzen wie in Köln oder versiegenden Mineralquellen ist die Rede. Grund: die schwierige Geologie und Grundwassersituation im Stuttgarter Talkessel.
So meldete sich jüngst der für die Konstruktion des Zeltdachs am Münchner Olympiastadion bekannte Stuttgarter Architekt Frei Otto mit Sicherheitsbedenken zu Wort. Der emeritierte Professor fürchtet, der Bahnhofsturm könnte sich wie der schiefe Turm von Pisa zur Seite neigen. Auch beschwört er das Horrorszenario eines Bahnhofs, der „wie ein U-Boot aus dem Meer“ hochsteigen könnte. Frei Otto rief zum Baustopp auf, ansonsten seien „Leib und Leben“ gefährdet.
Der Geologe Jakob Sierig aus Tübingen pflichtet ihm bei: „Ich sehe wie er, dass mit geologischen Risiken leichtfertig umgegangen wird.“ Ein bereits 2003 erstelltes Gutachten des Stuttgarter Ingenieurbüros für Geotechnik, Smoltczyk & Partner, sorgte jüngst zusätzlich für Nervosität, weil es im Bereich der Baugrube Hohlräume nicht ausschließt. Allerdings sind die Untersuchungen nach Angaben der Projektträger Teil der Planfeststellungsunterlagen und müssen von den ausführenden Unternehmen berücksichtigt werden.
Die Deutsche Bahn hat ihre Fachleute aufgefahren, allen voran Stuttgart-21-Architekt Christoph Ingenhoven und seine Ingenieure Werner Sobek und Dirk Münzner. Ingenhoven wirft Otto Panikmache vor und geht mit seinem ehemaligen Partner hart ins Gericht. Der 85-Jährige hatte sich im vergangenen Jahr aus der Zusammenarbeit verabschiedet, wegen Sicherheitsbedenken – wie er jetzt behauptet. Ingenhoven kontert: „Das ist eine Lüge. Niemals hatte er Bedenken geäußert während der ganzen Zusammenarbeit mit uns.“ Frei Otto habe weder das Know-How noch Einblick in die Planungen.