Der Hamburger Vize-Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Bernd Schlömer, spricht über den Anspruch, im Land mitzuregieren.
Berlin. Die Wahlerfolge in Berlin und im Saarland waren offenbar kein Zufall. Die Piratenpartei schwimmt auf der Welle eines schwer zu fassenden Erfolgs. Eine neue Umfrage sieht die Partei als drittstärkste Kraft in Deutschland. Der Einzug in die Landtage von Düsseldorf und Kiel im Mai scheint bereits programmiert. Dabei unterlaufen der Partei immer mehr Fehler. So ist etwa das Wahlprogramm in Schleswig-Holstein in Teilen aus anderen Landesverbänden abgeschrieben. Manchen Mitgliedern des Führungspersonals ist der Druck inzwischen auch zu groß geworden, wie sie öffentlich bekennen. Der in Hamburg lebende und im Berliner Verteidigungsministerium arbeitende Vizechef Bernd Schlömer allerdings hat noch viel vor bei den Piraten.
Hamburger Abendblatt: Herr Schlömer, haben Sie Angst vor dem Burn-out?
Bernd Schlömer: Zurzeit nicht, obwohl der Arbeitsdruck groß ist. Man muss gelassen bleiben.
Wie organisieren Sie Beruf und Parteiamt?
Schlömer: Ich stehe morgens um sechs Uhr auf, dann habe ich eine Stunde Zeit, um E-Mails von Presse und Parteimitgliedern zu beantworten. Dann arbeite ich bis circa 17 Uhr im Verteidigungsministerium. Danach arbeite ich wieder für die Piraten, zum Teil bis Mitternacht. Als ehrenamtlich tätiger Vizechef der Piraten funktioniert diese Doppelbelastung nur, wenn man diszipliniert arbeitet. So gelingt es mir dann auch, mein Leben als stellvertretender Bundesvorsitzender, mein Arbeitsleben und mein Leben als Privatmensch zu organisieren. Aber nicht alles gelingt dann mehr: Fußballspiele von St. Pauli habe ich schon lange nicht mehr sehen können.
Mehreren Führungskräften gelingt der Spagat nicht. Sie ziehen sich aus der Partei zurück, weil die Belastung zu stark wurde. Hat die Piratenpartei ein Kräfteproblem?
Schlömer: Wenn natürlich nur neue Mitglieder eintreten und eine Dienstleistung von der Partei erwarten, dann sind wir kurzfristig überfordert. In der Mitmach-Partei der Piraten ist aber jeder aufgefordert, das Parteileben aktiv mitzugestalten. Dazu zählt auch die wichtige Arbeit im Hintergrund: in der Mitgliederbetreuung und anderen verwaltenden Tätigkeiten. Hier können und müssen wir uns noch weiterentwickeln. Mittelfristig stehen wir aber vor der Entscheidung, für Verwaltung und Organisation der Partei bezahlte Mitarbeiter einzustellen. Bisher ist lediglich eine Angestellte in der Bundesgeschäftsstelle tätig, die auf 400-Euro-Basis arbeitet. Weiter erhält die Bundespressesprecherin eine Aufwandsentschädigung. Das ehrenamtliche Engagement sollte den Piraten abernicht zum Vorwurf gemacht werden. Das ist durchaus üblich. So führt Angela Merkel ihr Amt als CDU-Vorsitzende ehrenamtlich aus, sie ist hauptamtlich Bundeskanzlerin. Grundsätzlich mache ich es auch nicht anders, nur bin ichRegierungsdirektor und bei den Piraten.
Momentan dürfen sich die Piraten gegenseitig beschimpfen und auch Fehler machen. Bei den Wählern stehen sie trotzdem hoch im Kurs. Ist das noch rational erklärbar?
Schlömer: Die Menschen in Deutschland wünschen sich einen anderen Politikstil. Deshalb gibt es so zurzeit viel Vertrauensvorschuss für die Piraten. Die Sehnsucht nach Änderung wiegt bei den Bürgern schwerer als die Probleme, die die Piraten sich selbst bereiten. Wobei wir sicherlich nicht mehr Probleme haben als andere Parteien. Wir arbeiten halt offen und transparent.
Ihr Wahlprogramm für Schleswig-Holstein ist in Teilen kopiert aus anderen Bundesländern. Dabei sind peinliche Fehler entstanden. Stört Sie dieser Dilettantismus?
Schlömer: Das Programm der Nord-Piraten ist 60 Seiten stark und enthält mehr Themen, als Kritiker den Piraten zugetraut haben. Es gibt vielleicht Unschärfen, aber das ist nicht entscheidend. Schauen wir uns die anderen Wahlprogramme an: Ich bezweifle, dass wir eine bessere Qualität finden. Viel wichtiger ist, dass deutlich wird, welche Ziele die Piraten erreichen möchten. Hier geht es nicht um Begriffe. Es geht um die liberale Haltung der Piraten, die in dem Programm deutlich wird.
Es geht nicht nur um Begriffe. Bei vielen Forderungen ist nicht klar, wie Sie diefinanzieren wollen. Die Sozial- und Wirtschaftspolitik behandeln die Nord-Piraten auf mageren drei Seiten. Reicht das, um ernst genommen zu werden?
Schlömer: Ja, warum nicht. In Umfragen stehen wir in Schleswig-Holstein bei elf Prozent, in Deutschland sind wir momentan drittstärkste Kraft. Es gelingt uns vor allem, Neu- und Nichtwähler zu rekrutieren. Dabei bedienen die Piraten alle Altersschichten und sozialen Milieus. Wir sind eine neue digitale Volkspartei. Grüne und FDP sind dagegen Klientelparteien.
Ihre Klientel sind vor allem Männer. Es gibt kaum Frauen in der Spitze der Partei und wichtigen Ämtern.
Schlömer: Wir brauchen sicherlich eine Strategie, wie wir Frauen stärker für Ämter und Funktionen, aber auch für die Arbeit in der Partei gewinnen. Ich wünsche mir, dass die Anliegen der Frauen hier vor allem von den Frauen selbst in der Partei artikuliert werden. Von einer Frauenquote halte ich aber persönlich nichts.
Ein Vorwurf lautet: Die Piraten sind nicht regierungsfähig. Hat die Konkurrenz damit recht?
Schlömer: Was wir derzeit erleben, ist ein überkommener politischer Wettbewerb, in dem uns unsere Mitbewerber als dilettantisch und verantwortungslos deklarieren. Natürlich werden wir mittelfristig auch Verantwortung übernehmen. Ich kann nur alle Parteien einladen, sich mit den Piraten an einen Tisch zu setzen und über Inhalte zudiskutieren. Was wir nicht benötigen, ist eine standardisierte Abgrenzungsrhetorik.
Mit wem würden sich die Piraten am liebsten an einen Tisch setzen?
Schlömer: Jeder Landesverband muss selbst entscheiden, mit wem er und ob er koalieren möchte. Hier sollte es keine pauschale Absage an andere Parteien geben. Als liberale Partei sind wir pragmatisch und an Zielen und Inhalten interessiert. Alle demokratischen Parteien sind eingeladen.
Tun Ihnen die Grünen eigentlich leid? Sie wirken geradezu alt im Vergleich zur jungen Piratenpartei.
Schlömer: Es gibt sehr viele kompetente und gute Politiker bei den Grünen. Die Partei hat nur den Fehler gemacht, dass sie Bürgerbeteiligung versprochen hat, aber nicht einhält. Die etablierten Parteien setzen insgesamt auf einen eher lethargischen Bürger. Sie verfahren nach dem Motto: "Wir stehen für Wachstum, Nachhaltigkeit oder soziale Gerechtigkeit. Vertraut uns einfach. Wir machen das schon. Wahlen stören ein wenig." Aber so funktioniert es nicht.