Haftbefehle gegen deutsche Beamte, die Steuersünder-CD kauften. Schäuble findet Vorgehen der Justiz im Nachbarland nachvollziehbar.
Berlin. Dass der Zweck die Mittel heiligt, ist eine Lebensweisheit. Sie stammt von dem florentinischen Philosophen Niccolò Machiavelli, der sich als berühmt-berüchtigter Machtstratege im 15. und 16. Jahrhundert einen Namen gemacht hat. Und sie bedeutet sinngemäß, dass man zum Erreichen seiner Ziele auch mal zu unlauteren Methoden greifen darf.
Nach diesem Prinzip ist 2010 auch die Steuerfahndung in Nordrein-Westfalen vorgegangen. Um deutsche Steuerhinterzieher zu überführen, war sie im März 2010 an dem Kauf einer CD beteiligt, auf der sich reichlich Daten über Kunden und Mitarbeiter der Schweizer Bank Credit Suisse (CS) fanden. Kostenpunkt: 2,5 Millionen Euro. Das Material war gestohlen, die Herkunft zweifelhaft. Doch die brisante CD hat dem Fiskus nach Einschätzung der Steuergewerkschaft bis heute 900 Millionen Euro in die Kassen gespült. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft leitete mehr als 1000 Ermittlungsverfahren ein.
Doch schon im Frühjahr 2010 war das politische Berlin über die Frage gespalten, ob sich der Staat zum Hehler machen darf und damit rechtsstaatliche Prinzipien gefährdet - oder ob das Geschäft legitim war, um die Steuersünder zu überführen. Heiligt der Zweck also die Mittel?
+++ Deutschland oder Schweiz: Wer ist Täter, wer das Opfer? +++
Nein, findet jetzt die Schweiz. Sie hat Haftbefehle gegen drei nordrhein-westfälische Steuerfahnder erlassen, die damals an den Verhandlungen zum CD-Ankauf beteiligt waren. Das Land wirft den Beamten "nachrichtliche Wirtschaftsspionage" vor. Die Schweizer Bundesanwaltschaft teilte mit, es bestehe "der konkrete Verdacht, dass von Deutschland aus konkrete Aufträge zum Ausspionieren von Informationen der CS erteilt wurden". Bei einer Einreise in die Schweiz riskieren die drei Ermittler künftig ihre Verhaftung.
In Deutschland hat dieser Schritt heftige Reaktionen ausgelöst - und eine Debatte über den schmalen Grat zwischen Recht und Gerechtigkeit. "Die wahren Täter sind nicht unsere Fahnder, sondern die, die in Deutschland gern alle Voraussetzungen in Anspruch nehmen, um große Vermögen anhäufen zu können, sich dann aber aus dem Staub machen und das Bezahlen den Steuerehrlichen überlassen", wetterte der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Grünen-Bundestagsfraktionschef Jürgen Trittin bezeichnete das Vorgehen als "bodenlosen Skandal". Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, hält den Haftbefehl für "grotesk", sagte er der "Bild am Sonntag". Dies sei ein "Einschüchterungsversuch gegenüber der deutschen Politik, weil die Schweiz befürchtet, dass das geplante Steuerabkommen scheitert".
Genau an diesem Punkt wirft das Vorgehen der Alpenrepublik Fragen auf: Nach den Skandalen der vergangenen Jahre war geplant, dass die Erträge deutscher Anleger in der Schweiz ab 2013 mindestens genauso hoch besteuert werden wie in Deutschland. Konkret sollten jährlich gut 26,4 Prozent der erzielten Kapitalerträge abgezogen und ohne Namensnennung in die Bundesrepublik überwiesen werden. Auch Altvermögen, vulgo Schwarzgeld, sollte anonym nachversteuert werden - und die Betroffenen dabei straffrei bleiben. Im Gegenzug sollte sich die Schweiz dazu bereit erklären, deutsche Ermittler wegen des Ankaufs von Steuerdaten nicht zu belangen.
Das von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausgehandelte Abkommen wurde jedoch von der Opposition immer wieder heftig torpediert. SPD und Grüne sehen zu viele Zugeständnisse an die Steuersünder. Weil sich beide Parteien für die notwendige Zustimmung des Bundesrats verweigern, hatte das rheinland-pfälzische Finanzministerium die Nachverhandlungen erst am Freitag für gescheitert erklärt. "Es gibt nach wie vor zu große Schlupflöcher für deutsche Steuerbetrüger. Das ist den ehrlichen Bürgerinnen und Bürgern nicht vermittelbar", bekräftigte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).
+++ Warum so nachgiebig? +++
Die Vermutung der Steuergewerkschaft, die Haftbefehle hätten einen direkten Zusammenhang mit dem Streit in Berlin, sind also nicht unbegründet. Schäuble sieht es allerdings anders: "Die Schweiz hat ihr Strafrecht, und in der Schweiz ist die Verletzung des Bankgeheimnisses mit Strafe bedroht", betonte er am Sonnabend nach einem Treffen mit Ministerkollegen in Kopenhagen. Die Schweiz sei ein Rechtsstaat. Das geplante Steuerabkommen sei "gar nicht" betroffen. "Die Justiz und die Strafverfolgungsbehörden sind in der Schweiz so unabhängig wie in Deutschland, infolgedessen gibt es da keinen Zusammenhang."
Verhärtet sind die Fronten dennoch. Nach Abendblatt-Informationen hat die Großbank Credit Suisse erneut ein Reiseverbot für ihre Schweizer Mitarbeiter nach Deutschland ausgesprochen. Dahinter steckt wohl die Furcht, die Berater könnten in der Bundesrepublik verhaftet werden - etwa wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Schon im Frühjahr 2010, kurz nach dem Kauf der umstrittenen Daten-CD, hatte das Institut ein solches Reiseverbot verhängt.