In einem Staatsakt wird heute der zehn Toten der rechten Mordserie gedacht. Deutschland soll für eine Minute innehalten. Auch Hamburg steht still
Hamburg/Berlin. Um ein Zeichen zu setzen, reicht es manchmal aus, einfach nur innezuhalten. Die Arbeit ruhen und Lärmquellen für einen Moment versiegen zu lassen, in aller Stille Mitgefühl und Solidarität zu zeigen. Heute um 12 Uhr wird es so weit sein. Deutschland wird stillstehen, um in einer bundesweiten Schweigeminute der insgesamt zehn Opfer der rechtsextremen Mordserie zu gedenken.
Sie heißen Theodoros B. und Habil K. aus München, Mehmet K. aus Dortmund, Abdurrahim Ö., Ismail Y. und Enver S. aus Nürnberg, Süleyman T. aus Hamburg, Yunus T. aus Rostock, Halit Y. aus Kassel und Michéle Kiesewetter aus Heilbronn. Die Morde werden der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund zur Last gelegt. Das Terroristentrio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt war im November 2011 aufgeflogen. Der Fall konfrontierte die Behörden mit schweren Ermittlungspannen - auf verschiedenen Ebenen wird derzeit untersucht, ob die Gewalttaten hätten verhindert werden können.
Zur zentralen Gedenkfeier in Berlin werden 1200 Gäste erwartet - unter ihnen auch Angehörige der Mordopfer. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird anstelle des zurückgetretenen Christian Wulff die Ansprache halten. Vertreter der Bundesländer und der Kirchen, Ombudsleute der Opfer, Ehrenamtliche aus Initiativen gegen fremdenfeindliche Gewalt, eine Delegation des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments sowie zahlreiche Mitglieder des diplomatischen Korps nehmen an der Veranstaltung teil. Den musikalischen Teil übernehmen das Orchester der Berliner Universität der Künste und der deutsch-türkische Musikproduzent Mousse T. Vorgesehen sind Aufführungen von Stücken Johann Sebastian Bachs und des türkischen Komponisten Cemal Resit Rey. Auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) kommt nach Berlin.
Dem Aufruf zur Schweigeminute haben sich zahlreiche Verbände und Organisationen angeschlossen. Initiatoren der Idee sind der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Bürger sollen für 60 Sekunden "ihre Arbeit innehalten, ihre Tätigkeit unterbrechen und demonstrieren, dass Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland nicht geduldet werden", so DGB-Chef Michael Sommer. Auch die Axel Springer AG, in der das Hamburger Abendblatt erscheint, hat es ihren Mitarbeitern freigestellt, an der Schweigeminute teilzunehmen.
In der Hansestadt haben die Bürgerschaft, der Unternehmensverband Nord und der DGB Hamburg zum Innehalten aufgerufen, um "im stillen Gedenken ein Zeichen der Trauer und des Mitgefühls mit den Opfern, ihren Familien und Freunden" zu setzen. Schulsenator Ties Rabe (SPD) forderte in einem Brief alle Schulen auf, bei der Aktion mitzumachen. Auch die Leitung der Hamburger Universität begrüßt es, wenn sich die Mitarbeiter der Schweigeminute anschließen.
In Kirchen und Moscheen soll für die Opfer gebetet werden. "Die Morde, Raubüberfälle und Anschläge von Tätern aus dem rechtsextremen Milieu erfüllen uns mit Abscheu und Zorn", sagte der Vorsitzende der nordelbischen Kirchenleitung und Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich. Die Auseinandersetzung mit Rassismus und Gewalt dürfe nicht allein der Polizei und den Gerichten zugeschoben werden.
Das öffentliche Leben wird eine kurze Zeit stillstehen. In Hamburg werden alle U- und S-Bahn-Züge um 12 Uhr eine Minute in den Bahnhöfen halten. Auch Busse und die Elbfähren sollen zum Gedenken stoppen. Gleichzeitig würden die Fahrgäste durch Ansagen an den Haltestellen gebeten, an dem Gedenken teilzunehmen. Am Flughafen werden Angestellte, Passagiere und Besucher ebenfalls durch eine Durchsage aufgerufen, für eine Minute innezuhalten. Im Universitäts-Klinikum Eppendorf sind alle Mitarbeiter über die Gedenkminute informiert, sagte eine Sprecherin.
Neben den zehn Mordopfern wird heute auch der Verletzten der beiden Kölner Sprengstoffanschläge und aller Opfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland gedacht. Experten und Begleiter der Angehörigen warnen allerdings, der Staatsakt könne ein Ende der Rechtsextremismus-Debatte bedeuten. Die Veranstaltung dürfe nicht "als eine Art Schlusspunkt" missverstanden werden, sagte die Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer der Zwickauer Terrorzelle, Barbara John, dem Evangelischen Pressedienst. Sie müsse vielmehr "der Auftakt nachhaltiger Veränderungen in Politik und Gesellschaft" werden.