Guido Westerwelle erklärt den Amerikanern in Washington die Euro-Krise. Der Außenminister stiehlt FDP-Chef Rösler zunehmend die Schau.
Washington. Die renommierte Brookings Institution im Herzen der amerikanischen Hauptstadt ist ein unscheinbarer Ort. Ihn suchen Politiker allerdings immer dann auf, wenn sie Grundsätzliches zu sagen haben. Wer hier in diesem schlichten beigefarbenen Gebäudeklotz sprechen darf, wird im Weltspiel der Politik bemerkt und gilt im amerikanischen Verständnis globaler Zusammenhänge schlicht als wichtig. Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton nutzen den Ort immer wieder für Grundsatzreden. Kürzlich trat hier Richard Cordray auf, der Chef der neuen US-Superfinanzaufsicht CFPB. Er war noch keine 24 Stunden im Amt, als er bei Brookings den Banken und Versicherungen den Kampf ansagte. Wer also bei diesem renommierten Thinktank - die Amerikaner halten ihn für ihren bedeutendsten - zu Gast ist, muss also auch Bedeutendes von sich geben. Bedeutungsschwer klang bereits der Titel seiner Rede, den Außenminister Guido Westerwelle vor seiner Abreise dem Washingtoner Institut übermittelt hatte: "The Euro and Europe's Future".
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Westerwelle ist zum ersten Mal bei Brookings. Und er kommt zu spät. Der Termin bei US-Finanzminister Timothy Geithner hat länger gedauert als erwartet. Aber Euro-Retter sind wichtig und dürfen sich verspäten. Die wenigsten seiner Zuhörer im Auditorium wissen, dass es mit Westerwelles Wichtigkeit in Deutschland eher hapert. Sie wissen nicht, dass der Redner noch daran arbeitet, Vertrauen in seiner Heimat zurückzugewinnen. Aber Vertrauensarbeit ist momentan Westerwelles Spezialität. Der frühere FDP-Chef ist gekommen, um den Amerikanern die Euro-Krise zu erklären und Vorurteile gegen die vermeintliche deutsche Blockadehaltung im Rettungsprozess auszuräumen. Er hat dies am Vortag schon bei IWF-Chefin Christine Lagarde getan. Jetzt also sind Wissenschaftler und Journalisten dran. Eine Studentin der internationalen Ökonomie sitzt weit hinten im Publikum. "Ich verstehe das alles mit dem Euro nicht", sagt sie. Deshalb sei sie hier. Der Raum ist übervoll, zig Gäste müssen stehen. Nun ist auch Westerwelle da. Er spricht auf Englisch und entschuldigt sich. Der Termin bei Geithner sei sehr intensiv und konstruktiv gewesen. Und wenn so etwas die Märkte beruhige, dann sei das doch gut. Das Publikum lacht, Westerwelle freut sich. So macht der diplomatische Dienst Spaß.
Mit Europa verhalte es sich so wie mit der Musik Richard Wagners, sagt er dann und zitiert Mark Twain: Wagners Musik sei viel besser, als sie klinge. Und er selbst sei ein großer Anhänger Wagners und der europäischen Integration. Dann erklärt er, dass die europäische Malaise mit der Weltfinanzkrise von 2008 ihren Anfang genommen habe. Er wehrt sich gegen den Verdacht, Deutschland lasse Griechenland im Regen stehen, indem es dem Land keine grenzenlosen Garantien zur Verfügung stelle. Ohne Druck gehe es aber nicht, sagt der Minister. Er weist auf den deutschen Löwenanteil beim geplanten dauerhaften Stabilitätsmechanismus ESM hin - immerhin 200 Milliarden Euro. Würde man diesen Beitrag auf die Größe der amerikanischen Volkswirtschaft übertragen, dann müssten die USA mehr als eine Billion Dollar an Garantien bereitstellen, rechnet Westerwelle vor. "Können Sie sich vorstellen, dass Mitglieder des Kongresses solch eine Summe bereitstellen, um Nicht-Amerikanern zu helfen?" Die Ansicht, Deutschland zeige keine Solidarität mit seinen kränkelnden Nachbarn in der Euro-Zone sei einfach "unakkurat".
Aber Westerwelle gesteht auch Fehler ein: Die gefährliche Lücke zwischen den nördlichen und südlichen Euro-Staaten in der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit habe man zu lange ignoriert. Er erwähnt die Pläne vom Fiskalpakt und der Schuldenbremse und schließt mit einem Appell an Großbritannien, als Nichtmitglied der Euro-Zone sich dennoch an den Mühen der Euro-Rettung zu beteiligen. "Unsere Tür bleibt offen für Großbritannien." Doch zwei Konfliktfelder spart er vorsichtshalber aus: die Forderung nach einer europäischen Rating-Agentur und die Frage, in welchem Rahmen die europäische Finanztransaktionssteuer eingeführt werden soll. Zu Hause sitzt schließlich noch ein gewisser Philipp Rösler, den er derzeit lieber nicht vergrätzen will.
In der anschließenden Diskussion dreht Westerwelle richtig auf. Er gestikuliert wild, erhebt die Stimme, wiederholt, wie solidarisch sein Land sei. Aber die anderen müssten dafür ihre Hausaufgaben machen. Die Ökonomie-Studentin im Publikum ist zufrieden. "Das war umfangreich, das war gut", sagt sie. Ob sie die Euro-Krise jetzt verstanden habe? "Na ja, das ist alles sehr technisch." Außer Westerwelle kenne sie auch noch Angela Merkel aus der deutschen Regierung, sagt sie dann stolz. Ob sie nicht auch Vizekanzler Rösler kenne? Es folgt ein lang gezogenes "Noooo".
In Washington spricht Westerwelle für die deutsche Regierung. Den Zuhörern ist seine Partei ziemlich gleich. Weil aber die Liberalen in der Euro-Krise seit Monaten den rechten Weg suchen, können Auftritte wie dieser in der US-Hauptstadt helfen, auch liberale EU-Kompetenz zu vermitteln. Die FDP braucht ihren ungeliebten Ex-Chef wieder - und mehr, als der neuen Parteiführung lieb ist. Nicht nur Westerwelles Krisenmanagement in Washington deutet darauf hin, dass der Außenminister anstelle Röslers zum wichtigsten Euro-Retter der Liberalen avanciert. Auch der Kurzbesuch bei den Griechen am vergangenen Sonntag und die Forderung nach einer europäischen Rating-Agentur nach dem Vorbild der Stiftung Warentest haben den Außenminister wieder in den Fokus der liberalen Aufmerksamkeit gerückt. Mehr noch: Westerwelle stiehlt dem Wirtschaftsminister zunehmend die Schau.
Irgendetwas ist geschehen mit diesem Mann innerhalb der vergangenen Monate. Um ein markantes Datum älter ist er geworden. 50 Jahre. Der Geburtstagsempfang am Mittwochabend habe ihn bewegt, wie er später zugibt. Bis in die Nacht hatte er sich feiern lassen und die Glückwünsche aus allen politischen Lagern in Empfang nehmen dürfen. Ausgerechnet der runde Geburtstag eines politischen Scharfmachers, der er über Jahre war, hatte die politischen Lager zu einem ausgelassenen Fest zusammengebracht. Eine gewisse Altersmilde habe bei ihm eingesetzt, sagte er vor Kurzem. Es muss ihn ziemlich beschäftigt haben, nicht mehr jung, nicht mehr jugendlich zu sein und nicht mehr ein Leben zu führen, das über Jahrzehnte nur Aufstieg und Machtgewinn kannte. Westerwelle hat ein bisschen losgelassen, weil er loslassen musste. Es hat ihm offensichtlich gutgetan. Kein anderes Wort als gelöst umschreibt diesen Guido Westerwelle des Januars 2012. Gelöst ist er von der Belastung der zwei Ämter. Das eine, den FDP-Vorsitz, nahmen ihm seine politischen Zöglinge weg. Sie haben seitdem gezeigt, dass sie es nicht besser können als er. Das andere Amt, das des Außenministers, konnte er retten. Es scheint, als habe ihn die Konzentration auf das diplomatische Parket souveräner gemacht.
Das internationale Kopfschütteln über seinen eigenwilligen Libyen-Kurs ist verdaut. Es gilt, die Deutungshoheit über den arabischen Raum zurückzugewinnen. Ein Aufsatz in der "Frankfurter Allgemeinen" vor ein paar Tagen war ein solcher Versuch. Darin setzte sich Westerwelle für einen neuen Dialog mit Islamisten ein, die in Nordafrika jüngst Wahlerfolge erzielt hatten. "Politischer Islam ist nicht das Gleiche wie radikaler Islamismus. Islamische Orientierung bedeutet nicht per se rückwärtsgewandte, anti-moderne, anti-demokratische und unfreiheitliche Gesinnung", schrieb Westerwelle. Moderate Gedanken sind das von einem, der zeit seiner Karriere mit schrillen Tönen um Aufmerksamkeit buhlte. Man reibt sich die Augen.
Gut möglich, dass Westerwelles neues Selbstbewusstsein auf der Schwäche der anderen beruht. Ihm ist es egal. Lange genug war er der Sündenbock. Die Schwachen dürfen jetzt gern die anderen sein. Ein halbes Jahr ist erst vergangen, seit Westerwelles scheinbar endgültiger Niedergang besiegt war: Er galt als Regierungsmitglied auf Bewährung, als Amtsinhaber von Röslers Gnaden, als ein naiver Diplomat mit fehlendem globalpolitischen Durchblick, alles in allem: als ein ziemlich schwacher Außenminister. Westerwelle ertrug die Ablehnung und arbeitete an sich. In der Euro-Krise überließ er Wirtschaftsminister Rösler fürs Erste die Schlagzeilen. Aber die FDP blieb in der Krise. Daran änderte auch nicht das Dreikönigstreffen in Stuttgart. Der Parteichef hielt eine träge Rede, sein neuer Generalsekretär Patrick Döring blieb ebenso schwach. Westerwelle schaute schweigend zu, und vielleicht litt er heimlich ob des absenten rhetorischen Glanzes.
Prompt gab es Forderungen, er solle sich jetzt doch bitte wieder mehr in die Tagespolitik einmischen. Er tat es, trat beim Neujahrsempfang der Liberalen in Nordrhein-Westfalen auf und mokierte sich prompt über "Schönwetter-Liberale". In der gleichen Rede stellte er klar, dass er in der Partei keinen Führungsanspruch mehr erhebe: "Leute, das habe ich hinter mir." Er stehe nicht mehr auf der Brücke, aber im Maschinenraum. Westerwelles Maschinenraum zeigt sich zumindest in Washington von seiner ehrwürdigsten Seite. Von der Brookings Institution muss er schleunigst zum nächsten Termin. Da geht es nicht nur um Europa. Die arabische Welt, der Iran, der Nahe Osten, Gedanken zur Nato und zu Afghanistan stehen auf dem Programm des folgenden Gesprächs. Hillary Clinton wartet schon.