Im Leben des Jürgen Rüttgers gibt es bisher nur einen einzigen Tag in der Woche, an dem er loslassen kann. Jeden Sonntag, wenn er wie üblich früher als seine Frau Angelika aufwacht, legt er eine CD auf. Er will, dass ihr Aufwachen sanft ist. Dann macht er ihr Frühstück. So erzählte er es vor einigen Wochen einer Frauenzeitschrift.
Loslassen konnte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident bisher am besten, wenn ihn niemand dazu drängte. Sonntags war politikfrei, weil er selbst es so wollte. Aber nun beginnt das Drängen. Das ist er nicht gewohnt. Rüttgers klammert noch, vielleicht taktiert er noch, und womöglich denkt er, man könne gar nicht ohne ihn. Weil er bis zuletzt nicht weichen wollte, ließ er die Möglichkeit einer Großen Koalition mit der SPD scheitern. Was ist ihm dafür geblieben? Einer von 67 Abgeordneten-Sesseln der CDU im Landtag. Er wird nicht einmal die Fraktion führen, auch nicht gegen die SPD-Kandidatin Hannelore Kraft bei der Ministerpräsidentenwahl antreten. Seine Parteifreunde haben ihm beigebracht, dass er loslassen muss.
In gut drei Wochen wird Rüttgers nicht mehr Regierungschef sein. Eigentlich hätte er am 9. Mai, am Tag der Wahlniederlage, aufhören können, aber er überwand sich nicht. Jetzt merkt er, dass er es muss. Vielleicht hilft ihm Angelika dabei. Morgens mit einer CD zum Aufwachen, etwa von seiner Lieblingsband, den Pet Shop Boys. Ein besonders sanftes Lied heißt "Liberation". Rüttgers wird es sicher kennen.