Würde es die Gesundheit von Helmut Kohl erlauben, wäre er nicht nur heute - an seinem 80. Geburtstag - ein gefragter Mann. Die Zahl der Festveranstaltungen, öffentlichen Auftritte, Reden und Ehrungen wäre groß gewesen, auch weil dieses ganze Jahr 2010 mit dem 20. Jahrestag der Wiedervereinigung verbunden ist. Kaum ein Tag, an dem vor zwei Jahrzehnten nicht eine wichtige Entscheidung getroffen wurde. Entscheidungen für die Freiheit aller Deutschen. Ich persönlich weiß von Helmut Kohl, wie gerne er schon im letzten Jahr viele Veranstaltungen zum Mauerfall-Jubiläum besucht hätte. Auch das war leider nicht möglich. Eines wäre bei besserer Gesundheit in diesem Jahr sicher gewesen: Er hätte wie die Jahre zuvor viele Anlässe gesucht, um vor allem mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen, um sie von der Idee der Freiheit zu begeistern.
Sein ganzes politisches Wirken - ob in Rheinland-Pfalz als langjähriger Ministerpräsident, als Oppositionsführer in Bonn und schließlich 16 Jahre lang als Bundeskanzler - war mit der Idee der Einheit Deutschlands und der Einigung Europas verbunden. Helmut Kohl zählte zu den führenden Politikern der Bundesrepublik Deutschland, die den Krieg nicht mehr als Soldat an der Front miterleben mussten, aber noch mit dem Krieg und seinen Folgen aufgewachsen sind. Das berühmte Wirtschaftswunder setzte nun mal nicht direkt nach der Katastrophe ein, sondern in den ersten Jahren der Teilung standen für die Familien, oft nur die Frauen und Kinder, Not und Hunger auf der Tagesordnung der Aufbaujahre. "Nie wieder Krieg" - diesen Ausspruch hat man sehr oft von Helmut Kohl gehört. Für diese Generation war ein einigendes Europa von Anfang an eine Vision, für Kohl war es eine Kraftquelle seines frühen politischen Engagements. Er war von Jugend an ein Europäer. Und als er im Herbst 1982 als Nachfolger Helmut Schmidts zum Bundeskanzler gewählt wurde, standen neue Initiativen in der Europapolitik für ihn ganz oben auf der Agenda. Damals machte das Wort von der "Eurosklerose" die Runde, Pessimismus lag wie ein Schleier auf dem geteilten Kontinent. Da war es Kohl - gemeinsam mit dem französischen Nachbarn - der für neuen Schwung sorgte. Die gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion ist eng mit seinem Namen verbunden. "Deutsche und europäische Einheit sind zwei Seiten ein und derselben Medaille" - diesen Ausspruch hörte man oft von Helmut Kohl. Das Thema Deutsche Einheit wachzuhalten, war ihm schon in jungen Jahren ein Herzensanliegen, und er hat dieses Ziel nie aufgegeben. In einem seiner Erinnerungsbände hat er sehr ausführlich beschrieben, wie er in den 70er- und 80er-Jahren bei Privatreisen in der DDR das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen gespürt hat. Auch bei Honeckers schwierigem Besuch 1987 in Bonn hat er deutliche Worte zur Wiedervereinigung gesprochen. Und es war und bleibt sein Verdienst, dass er zur richtigen Zeit die weitsichtigen Entscheidungen getroffen hat.
Ich persönlich habe in vielen Gesprächen mit ihm sein Denken verstanden und viel von ihm gelernt. Das begann schon vor über 30 Jahren, ich war damals stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union. Aufmerksam wurde er übrigens auf mich, weil ich als erstmaliger Teilnehmer bei einem CDU-Bundesparteitag Kritik an der Führung geäußert hatte. Die persönliche Verbindung kam dann recht schnell zustande, nicht zuletzt, weil ich den Vater seiner langjährigen Mitarbeiterin Juliane Weber aus der gemeinsamen Kreistagsarbeit in meinem Heimatkreis gut kannte. Das waren lange Abende im Bonner Kanzlerbungalow damals. Er hat zugehört und sich vor allem auch für Diskussionen mit jungen Menschen Zeit genommen. Als Helmut Kohl Mitte der 70er-Jahre als Oppositionsführer nach Bonn kam, wurde er von einigen Zeitgenossen als "Provinzling" aus der Pfalz ein bisschen belächelt. Diese Beobachter mussten im Laufe der Zeit den Rückzug in ihrer Bewertung antreten. Einige haben erst vor Kurzem diese Fehleinschätzung öffentlich eingestanden. Ich habe immer bewundert, dass er Krisen und Herausforderungen des Tages ins Verhältnis zu den langfristigen Entwicklungen setzen konnte. Deswegen hat er sich auch für die europäische Einigung immer engagiert, das Bewusstsein für die Wiedervereinigung wachgehalten und in der historischen Chance die Initiative ergriffen. Grundsatztreue zahlt sich langfristig nun mal aus.
Ich gratuliere Helmut Kohl sehr herzlich und wünsche ihm vor allem gesundheitlich alles Gute, Wohlergehen und habe persönlich für Freundschaft zu danken. Helmut Kohl hat für die Zukunft unseres Landes und für Europa viel geleistet. In einigen Jahren, da bin ich mir sicher, werden mit großer Selbstverständlichkeit Straßen und Plätze nach Helmut Kohl benannt sein.