Da haben sich Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Erdogan für ihr zweitägiges Treffen aber viel vorgenommen. Es soll unter anderem um den EU-Beitritt der Türkei, Sanktionen gegen den Iran, das Armenier-Problem, die geostrategische Bedeutung der Türkischen Republik und natürlich um türkische Gymnasien in Deutschland gehen. Dazu soll auch noch selbstverständlich die immer noch mangelhafte Integration der größten Minderheit in diesem Land, der Deutschtürken, zur Sprache kommen. Na, dann mal los!
Wie immer, wenn es um die deutsch-türkischen Beziehungen geht, hat wirklich jeder eine Meinung dazu, die er auch medial wirksam platzieren muss. Plötzlich werden Zusammenhänge hergestellt, Kausalitäten konstruiert und Bedingungen verknüpft, die kaum etwas miteinander zu tun haben. Allen voran könnte die Bundeskanzlerin bei Gelegenheit erklären, warum es ihr ausgerechnet kurz vor dem Türkei-Besuch eingefallen ist, die Türken im eigenen Land zu mehr Spracherwerb und Einhaltung der Gesetze zu mahnen. Was haben die gravierenden Versäumnisse bei der Integration, für die keinesfalls nur die Deutschtürken allein verantwortlich sind, mit der deutschen Außenpolitik zu tun?
Vor Merkels Türkei-Besuch hat Ministerpräsident Erdogan türkische Gymnasien in Deutschland gefordert, um die allseits bekannten sprachlichen Probleme der Deutschtürken zu beheben. Schließlich müssten türkische Kinder zuerst ihre türkische Muttersprache erlernen, um darauf aufbauend schließlich korrekt Deutsch lernen zu können. Wie bei vielen anderen Themen vertritt Erdogan auch bei diesem eine sehr exklusive Meinung. Dabei ist die Muttersprache türkischer Kinder in diesem Land nicht Türkisch, sondern meistens ein unsägliches Gemisch aus Deutsch und Türkisch. Schon der Erstspracherwerb dieser Kinder ist also katastrophal, und ihre Sprachkompetenz wird im Laufe ihrer Schullaufbahn nicht besser. Was diese Kinder am meisten benötigen, sind nicht türkische Gymnasien, sondern Schulen und Lehrkräfte, die ihnen beim Erlernen der deutschen Sprache konsequent unter die Arme greifen, damit sie nicht von vornherein benachteiligt sind. Erdogan konnte bisher auch nicht schlüssig erklären, warum der deutsche Staat türkischstämmigen Kindern die Sprache ihrer Eltern beibringen muss.
Beide Seiten folgen leider immer denselben Reflexen. Wenn es politisch opportun erscheint, werden auf dem Rücken der Türken in Deutschland alle Konflikte der deutsch-türkischen Beziehungen - vom EU-Beitritt der Türkei bis zum Kopftuchstreit - ausgetragen. Kaum eine türkische Regierung hat tatsächliches Interesse an der Integration der Türken in Deutschland gezeigt. Sie haben eher viele Bemühungen torpediert, weil die "Deutschländer" lange Zeit als Devisenbeschaffer und Faustpfand für eigene außenpolitische Interessen wichtig waren, nicht aber als Menschen, die in der neuen Heimat seit Jahrzehnten mit elementaren Problemen zu kämpfen haben. Bis heute hat sich an dieser Haltung kaum etwas geändert. Die Bundeskanzlerin befindet sich ihrerseits mit der Aufforderung, die Türken müssten die deutschen Gesetze einhalten, in guter Tradition, vor allem zu ihren christlich-demokratischen Vorgängern. Um bei der eigenen politischen Klientel zu punkten, werden alte Ängste geschürt, Stereotypen bedient und unsinnige Appelle formuliert. Oder will die Bundeskanzlerin allen Ernstes über zwei Millionen Menschen als latente Gesetzesbrecher hinstellen, denen eine Ermahnung zu mehr Rechtsstaatlichkeit mal ganz guttut?
In einem Punkt sind sich Merkel und Erdogan aber einig, auch wenn sie es vehement abstreiten würden: Beide begreifen und behandeln die Türken in diesem Land nicht als einen gleichberechtigten Bestandteil der deutschen Gesellschaft, sondern als eine Minderheit, die nicht dazugehören will (Merkel) oder nicht dazu gehören soll (Erdogan). Es ist genau diese Sicht, die sich durch alle Äußerungen und Vorschläge zieht und der wirklichen Integration im Wege steht. Auf kultureller und wirtschaftlicher Ebene entwickeln sich die deutsch-türkischen Beziehungen vorbildlich, und das Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken ist trotz aller Probleme zumindest in vielen deutschen Städten zu einer beiderseitig geschätzten Selbstverständlichkeit geworden. Vielleicht sollte das jemand mal der Bundeskanzlerin und dem Ministerpräsidenten stecken.