Hamburg/Berlin. Falls der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Sinn hatte, eine möglichst fruchtbare Atmosphäre für den Staatsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Ankara am Wochenanfang zu schaffen, dann hat er einen eigenwilligen Weg gewählt. Erdogan forderte jetzt in der Wochenzeitung "Die Zeit" die Einrichtung von türkischen Gymnasien in Deutschland und auch danach eine türkisch geprägte Weiterbildung. Viele der drei Millionen in Deutschland lebenden Türken hätten Sprachprobleme. Erdogans Lösung: "Man muss zunächst die eigene Sprache beherrschen - also Türkisch -, und das ist leider selten der Fall." Deutschland habe "noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt". Auch in der Zeit nach dem Abitur soll es nach Erdogans Willen für türkisch-stämmige Studenten türkisch weitergehen: "Wir gründen gerade die Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul. Warum gründen wir nicht auch eine bei Ihnen?", fragte der Regierungschef. Er verlangte zudem die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland. Dies alles diene der Integration.
Erdogan steht ungeachtet seiner Reformbemühungen bei seinen europäischen Kritikern im Verdacht, ein verkappter Islamist zu sein. Er war in der Jugend Mitglied einer radikalen islamischen Organisation, saß in der Türkei zehn Monate im Gefängnis, weil er unter anderem öffentlich geäußert hatte, die Demokratie sei "nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind". 2008 sagte Erdogan: "Wir müssen die europäische Kultur mit der türkischen impfen."
Gegenüber der "Zeit" forderte der Regierungschef noch einmal eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU. "Wir führen bereits die Verhandlungen, und zwar auf Vollmitgliedschaft. Für uns gibt es dazu keine Alternative." Die Position von Kanzlerin Angela Merkel (CD) für eine "privilegierte Partnerschaft" wies Erdogan strikt zurück. Für die Türkei wäre es ein großer Fehler, darauf einzugehen. Am vergangenen Sonntag hatte Merkel diese Haltung noch einmal bekräftigt - worauf Erdogan den Umgang mit der Türkei als "nicht korrekt" bezeichnete.
Merkel will in Ankara und Istanbul am Montag und Dienstag dennoch Alternativen zu einer Vollmitgliedschaft ausloten. Die 2005 begonnenen Verhandlungen zwischen der Türkei und der EU über einen Beitritt stagnieren seit Längerem.