Union verärgert über Wortwahl der Liberalen. FDP warnt vor “Gesellschaft von Taschengeld-Empfängern“. CDU: “Dies ist nicht die Tonlage einer Volkspartei.“
Berlin. Nach der massiven Kritik des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle am - wie er meint - ausufernden Sozialstaat eskaliert in der schwarz-gelben Koalition der Streit um eine Neuregelung von Hartz IV. FDP-Generalsekretär Christian Lindner sagte, es gehe den Liberalen darum, "den Marsch in eine Gesellschaft von Taschengeld-Empfängern zu beenden". Nötig sei eine "Runderneuerung des Hartz-IV-Systems". Der Union habe jahrelang der Mut gefehlt, sich diesem Thema zu stellen.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe rief die Liberalen zur Mäßigung auf. In der "Süddeutschen Zeitung" sagte er: "Fragwürdige Verallgemeinerungen und scharfe Töne erschweren nur die notwendige Debatte über die Umsetzung der Hartz-IV-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts." Mit Blick auf Westerwelles Äußerungen etwa über "spätrömische Dekadenz" im Sozialstaat sagte er: "Dies ist nicht die Tonlage einer Volkspartei." Der FDP-Chef hatte seine Kritiker zuvor in der "Bild"-Zeitung aufgefordert, sich im Bundestag einer Generaldebatte zu stellen. Die politischen Gegner versuchten "mit ihren Beleidigungen doch nur zu verbergen, dass es ihnen an Wahrheit und Argumenten fehlt". Der Sozialetat mache inzwischen 45 Prozent des Bundeshaushalts aus. Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki warf der Union mangelnde Unterstützung vor. "Es geht um die Frage, ob der Staat aushalten kann, dass es in Deutschland Menschen gibt, die arbeiten und weniger haben als jene, die nicht arbeiten - leider ist von der Union in dieser Frage bislang kaum Unterstützung erkennbar", sagte Kubicki dem Abendblatt.
Zuvor hatte der hessische FDP-Vorsitzende Jörg-Uwe Hahn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der "Frankfurter Rundschau" aufgefordert, sie müsse ihren Vizekanzler "vor unmöglichen Beschimpfungen aus der Union in Schutz nehmen". Hahn bezog sich dabei auch auf die Äußerung des früheren CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler, der Westerwelle als "Esel" bezeichnet hatte.
Die Opposition lief weiter Sturm gegen Westerwelle. Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner kritisierte, der Außenminister geriere sich "wie der Jörg Haider der deutschen Politik" und pflege einen "Politikstil der Ressentiments gegen Arbeitslose". Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rief Merkel (CDU) dazu auf, "mit einer Regierungserklärung zu zeigen, ob diese Regierung für soziale Gerechtigkeit steht".
Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz forderte unterdessen finanzielle Anreize, damit "sich eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt mehr lohnt als der Bezug von ALG II".