Das Fazit nach den ersten 100 Tagen der Regierung Merkel/Westerwelle muss aus zwei Teilen bestehen. Erstens: Bei vielen Themen kann man die politischen Absichten höchstens erahnen - zu schwammig oder sogar widersprüchlich ist das, was aus den Lagern von CDU, CSU und FDP zu hören ist. Zweitens: Die wenigen klaren Aussagen lassen nichts Gutes erahnen. Angela Merkel, Horst Seehofer und Guido Westerwelle scheinen das Prinzip "Solidarität" aus der Politik entfernen zu wollen. Wenn sie damit durchkommen, bröckelt der Kitt, der diese Gesellschaft im Innersten zusammenhält.
Entsolidarisierung: Am deutlichsten zeigen sich die Gefahren in der Gesundheitspolitik. Die "Kopf-Pauschale", die FDP-Minister Rösler auf Biegen und Brechen durchzusetzen entschlossen ist, schwächt die Schwachen und stärkt die Starken. Denselben Effekt hat das "Einfrieren" des Arbeitgeber-Anteils bei der Krankenversicherung. So entsteht ein Gesundheitswesen, das nicht solidarisch ist - und auch nicht solide.
Von Solidarität war auch nichts zu spüren, als der frischgebackene Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) darüber räsonierte, dass beim Ausbau der Autobahnen und Bundesstraßen jetzt aber mal der Westen dran sei. Niemand bestreitet, dass auch in Hamburg und Baden-Württemberg Straßen gebaut oder geflickt werden müssen. Was mir als Ministerpräsident Sorgen macht, ist der Unterton, den Ramsauer - und nicht nur er! - anschlägt: "Jetzt ist aber mal gut mit dem Osten!" Länder wie Mecklenburg-Vorpommern brauchen die Mittel, wie sie Ost und West im Solidarpakt II festgeschrieben haben. Wir arbeiten hart daran, ab 2020 auf eigenen Füßen zu stehen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Koalition in Berlin schnell zwei Hausaufgaben erledigt. Sie muss sich auf Grundzüge ihrer Politik einigen, und diese Grundzüge müssen vom Gedanken der Solidarität zwischen Starken und Schwachen, Reichen und Armen, Jungen und Alten, Westdeutschen und Ostdeutschen geprägt sein. Ob das klappt? Allzu viele Anzeichen für Besserung sind im Moment nicht zu erkennen.