Der designierte Energiekommissar besteht seine erste Bewährungsprobe und verspricht eine unabhängige Arbeit.
Brüssel. Wochenlang hatte sich Günther Oettinger (56) vorbereitet. Er hatte gebüffelt, er hatte in seinem Studierzimmer mehr als 1000 eng beschriebene Seiten gelesen - es war ein Parforceritt durch die europäische Energiepolitik der letzten fünf Jahre. Der scheidende Ministerpräsident Baden-Württembergs war über Weihnachten im Turbotempo zu einem kleinen Energieexperten geworden. "Ich bemerke, wie hoch die Sachkunde bei Ihnen ist", dozierte Oettinger am Ende seiner Anhörung im EU-Parlament. Die Abgeordneten des Industrieausschusses schmunzelten, sie beschäftigen sich - im Gegensatz zu Oettinger - seit Jahren mit Energiepolitik.
Aber schaden konnte dem Kandidaten diese Äußerung nicht mehr. Er hatte es geschafft, er hatte die Eignungsprüfung im Parlament bestanden. Die Abgeordneten werden ihn mit "sehr gut" bewerten. Oettinger will ab Februar EU-Energiekommissar werden - dazu braucht er die Zustimmung des Parlaments.
Seine Vorstellung war souverän, kenntnisreich und stellenweise überraschend witzig. Oettinger zog alle Register seiner Klaviatur, die er als Landespolitiker in mehr als 25 Jahren gelernt hatte. Er umgarnte die Abgeordneten: "Ich bin nicht der deutsche Kommissar. Ich bin der Kommissar, der von Deutschland vorgeschlagen worden ist mit europäischer Verpflichtung." Er forderte die Abgeordneten heraus: "Testen Sie mich!" Und er bediente, je nach Gemütslage, die Sehnsüchte eines jeden EU-Parlamentariers zwischen Stockholm und Palermo: "Ökologisch, sozial und wirtschaftlich sind drei Werte, die in der Energiepolitik gleichwertig beachtet werden müssen."
Noch wichtiger war aber: Im Gegensatz zu den quälenden Anhörungen einiger anderer Kommissarsanwärter wagte sich Oettinger häufiger aus der Deckung und legte sich fest. "Was werden Sie tun, wenn sich abzeichnet, dass die EU das Ziel, bis 2020 mindestens 20 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien zu decken, nicht erreicht", fragte der EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer (Grüne). Er sei bereit, in zwei Jahren zu handeln, wenn "freiwillig und marktwirtschaftlich nicht genug passiert", antwortete Oettinger. Dieses Versprechen hörten die Abgeordneten gerne.
Oettinger forderte einen "umfassenden Wechsel" in der Energiepolitik. "Die nächsten Jahre müssen europäisch geprägt sein", sagte er. Das hört sich harmlos an. Aber für die deutschen Energieriesen - das wird immer deutlicher - könnte die neue Ära Oettinger in Brüssel ungemütlich werden. Der Wirtschaftsanwalt aus Schwaben weiß, dass er nur Erfolg haben kann, wenn er auf Wettbewerb, sinkende Verbraucherpreise und eine Europäisierung der Energieversorgung setzt. "Es darf hier keine Insellösungen mehr geben. Das sage ich gerade auch im Hinblick auf mein Herkunftsland", sagte Oettinger.
Er zeigte sich in allen Themen, von Energiesparen, Ausbau der Stromnetze bis hin zu Gaspipeline-Projekten, sattelfest. Lob von allen Seiten, das war neu für Oettinger. "Er hat sich heute sehr stark für eine ökologisch verantwortliche Energiepolitik ausgesprochen", sagte der luxemburgische Grüne Claude Turmes. Der Liberale Jorgo Chatzimakakis sagte: "Souverän, sicher in den Details und mit schwäbischem Charme." Der Hamburger SPD-Abgeordnete Knut Fleckenstein sagte dem Abendblatt: "Er war gut vorbereitet und konnte glaubhaft machen, dass er mit dem Parlament zusammenarbeiten will. Er war nicht schlechter als viele andere, was wahrscheinlich kein Lob darstellt." Oettinger habe dennoch "eigene Gedanken und eigene Ideen vermissen lassen", so Fleckenstein. "Er hat vermieden, konkret zu werden." Der Ministerpräsident sei doch noch nicht ganz in Europa angekommen.