Zum ersten Mal seit Jahren trafen sich die Macher der deutschen Einheit in Berlin. Es war in erster Linie der große Tag Helmut Kohls.
Die historische Bedeutung dieses Tages ist zu spüren, hier im Friedrichstadtpalast, wo eigentlich Revuegirls die Beine schwingen. Rund 1800 Menschen sind auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammengekommen, um das Jubiläum der deutschen Einheit zu begehen: "Mauerfall und Wiedervereinigung - der Sieg der Freiheit". 20 Jahre nach dem Schicksalsherbst 1989. Angela Merkel ist da, die wiedergewählte Kanzlerin. Horst Köhler, der Bundespräsident, wird die Laudatio halten. Aber es ist vor allem der Tag eines Mannes: Helmut Kohl. Als der 79-jährige Altkanzler, dem mit etwas Abstand George Bush senior und Michail Gorbatschow folgen, im Rollstuhl auf die Bühne geschoben wird, brandet Beifall auf. Minutenlang, als wolle er gar nicht mehr enden.
Das Mitgefühl, die Dankbarkeit diesem Staatsmann gegenüber, der nach seinem schweren Sturz vor einem Jahr gesundheitlich angeschlagen ist, nur noch mit Mühe sprechen kann und dabei doch hellwach wirkt, ist greifbar. Die Rührung angesichts des Augenblicks ist auch Kohl anzusehen, der mit seinem dunklen Anzug und gelber Krawatte auch im Rollstuhl noch mächtig erscheint. Seine zweite Frau Maike Kohl-Richter ist immer in seiner Nähe. Nur selten sieht man sein berühmtes Lächeln, man ahnt, wie schwer ihm dieser Auftritt fällt.
Horst Köhler findet die richtigen Worte. Der Bundespräsident hält eine sehr gute Laudatio, in der er die Leistungen der drei Staatsmänner heraushebt, ohne die weder die deutsche Einheit noch die Konsolidierung in Europa möglich gewesen wären. Er dankt "im Namen der Deutschen" den drei ehemaligen Politikern. Sie, die den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen erlebt hätten, stünden exemplarisch für den "Lernweg ihrer Völker". So seien die Deutschen vernünftig genug geworden, um einzusehen: "Das Recht ihrer Nachbarn, in sicheren Grenzen zu leben, durfte von Deutschland nie wieder infrage gestellt werden." Köhler lobt Bush und Gorbatschow, dass sie den Deutschen die Einheit und den Frieden ermöglicht hätten. "Eine geschichtliche Sternstunde", nennt der Präsident den Mauerfall. Und: "Ich betrachte es noch immer fast als ein Wunder, dass Deutschland nur noch von Partnern und Freunden umgeben ist."
Und der Bundespräsident tut noch etwas Ungewöhnliches. Mit Blick auf die drei Staatsmänner, die dort im Friedrichstadtpalast nebeneinandersitzen, unterbricht er seine Rede und sagt: "Dass diese drei Männer heute hier sind, ist etwas Schönes, auch jenseits der Geschichte. Es ist ein Zeichen der Hoffnung und Ermutigung."
Worte, die besonders Helmut Kohl nahegehen. Der Altkanzler greift ab und zu nach der Hand Gorbatschows, der über die Jahre zu einem Freund geworden ist. Wenn die Kamera Kohl manchmal bei den vielen Huldigungen, beim ehrlichen Applaus einfängt, blinken seine Augen. Nur die Hände finden beim Applaus mühsam zueinander.
Wenig später sitzen die drei Partner von einst zu dritt auf der Bühne, jeder hält eine kurze Rede und lobt die Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte. Bush, 85, der Älteste, wirkt am agilsten, obwohl er am Stock geht. Er bringt den Saal zum Lachen, als er seiner Frau Barbara dankt, auch für die lange Ehe: "Sie ist die Frau mit den weißen Haaren dort." Der 78-jährige Gorbatschow überrascht Angela Merkel mit der Bemerkung: "Sie führt ihr Land gekonnt." Dann verwirrt er die Zuhörer für einen Moment, als er plötzlich auch die DDR lobt, die zur Annäherung von Ost und West beigetragen habe, anschließend den Vereinigten Staaten eine eigene "Perestroika" empfiehlt und lobt, dass Barack Obama schon in diesem Jahr den Friedensnobelpreis bekommen habe.
Doch im Zentrum der Aufmerksamkeit steht Helmut Kohl, "ein großer Staatsmann und wahrer Partner", wie ihn Bush nennt, "ein Freund", wie Gorbatschow meint. Kohl selbst rührt die Gäste, als er sagt: "Ich war gar nicht so sicher, ob ich noch mal so einen Auftritt habe."
Der 79-Jährige nimmt seine ganze Kraft zusammen, als er sagt, Gorbatschow und Bush seien damals die wichtigsten Partner gewesen, er sei glücklich, dass dieses Wiedersehen nach all den Jahren zustande gekommen sei. Die friedliche Wiedervereinigung der Deutschen sei keine Selbstverständlichkeit gewesen, der Mut der Menschen sei ebenso notwendig gewesen wie die Unterstützung der Nachbarn.
Und er teilt, beinahe der alte Helmut Kohl, einen kleinen Hieb gegen diejenigen aus, die damals die Wiedervereinigung nicht wollten oder ihr zumindest skeptisch gegenüberstanden. Beim Hereinkommen, sagt Kohl, habe er die vielen jungen Menschen mit den Deutschland-Fahnen gesehen, die vor dem Friedrichstadtpalast gestanden haben. Wenn diese Bilder durch die Welt gingen, könne man sagen: "Die Deutschen sind endlich zur Vernunft gekommen. Man kann mit den Deutschen leben." Und er sagt, dass es ihn mit Stolz erfülle, was damals geschehen sei: "Ich habe nichts Besseres, als stolz zu sein auf die deutsche Einheit." Das persönliche Fazit seiner Lebensleistung erntet minutenlangen Applaus. Der Altkanzler schließt seinen Rückblick mit den Worten: "Der Himmel hat uns geholfen."
Als zum Abschluss dieser denkwürdigen, anrührenden Veranstaltung die Nationalhymne gesungen wird, stehen vielen die Tränen in den Augen.
"Es ist ein historischer Tag", sagt Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, am Abend. "Wir können diesen drei großen Staatsmännern nicht genug für ihre Verdienste danken. Sie haben die friedliche Revolution für die Freiheit vollendet." Die drei Väter der Einheit haben sich noch einmal getroffen - zu einem Essen auf Einladung der "Bild"-Zeitung. Noch einmal wird Helmut Kohl mit Ovationen empfangen, als er in den Saal kommt. "Es ist ergreifend, diesen Mann wiederzusehen", sagt der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen (CDU).
Ob der Altkanzler heute in einer Woche zur Gedenkfeier des 9. November noch einmal nach Berlin kommt, steht noch nicht fest. Auch deshalb war dieser Tag in Berlin ein Auftritt von historischer Bedeutung.