Die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin wundert sich über die Nominierung des Ministerpräsidenten als EU-Kommissar.
Hamburg/Brüssel. Hamburger Abendblatt: Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger soll EU-Kommissar werden. Eine gute Nachricht für Europa?
Silvana Koch-Mehrin: Wichtig wird sein, dass die Bundesregierung jemanden nach Brüssel entsendet, der einen guten Draht nach Berlin hat. Ich hoffe mal, dass der Kontakt von Herrn Oettinger zu Frau Merkel entsprechend ist. Die Nominierung kam für uns alle überraschend.
Abendblatt: Warum?
Koch-Mehrin: Der Name ist in all den Spekulationen nicht gefallen. Herr Oettinger war auf der europäischen Bühne bislang nicht besonders präsent. Das Thema Landesbanken hat ihn ab und zu nach Brüssel geführt - aber sonst? Die Anhörung vor dem Europaparlament bietet ihm jetzt Gelegenheit, seine besonderen europäischen Interessen unter Beweis zu stellen.
Abendblatt: Kann es passieren, dass Oettinger durchfällt?
Koch-Mehrin: Es wird kritische Fragen geben. Oettinger muss sich darauf einstellen, dass er in der Anhörung auch mit Äußerungen aus der Vergangenheit konfrontiert wird.
Abendblatt: Wackelt der deutsche Bewerber?
Koch-Mehrin: Das Europaparlament stimmt nicht einzeln über die Kommissare ab, sondern über die Kommission als Ganzes. Aber wenn es gravierende Bedenken gegen einen Kandidaten gibt, ist das Parlament bereit, die Kommission abzulehnen. Das haben wir 2004 gezeigt, als wir Berlusconis Personalvorschlag gekippt haben. Und seither hat das Selbstbewusstsein des Parlaments eher zugenommen.
Abendblatt: Welches Ressort wäre für Deutschland attraktiv?
Koch-Mehrin: Wichtig ist die Umweltpolitik. Auf diesem Feld ist die EU inzwischen der maßgebliche Gesetzgeber. Wettbewerbspolitik ist ebenfalls von großer Bedeutung, das hat sich gerade in den vergangenen Monaten gezeigt, als es um Opel und Magna ging. Aber ob ein Kommissar Oettinger ein zentrales Ressort bekommt, hängt von EU-Kommissionspräsident Barroso und durchaus auch von der Meinung des Europaparlaments ab.
Abendblatt: Was wird die vordringliche Aufgabe der zweiten Kommission Barroso sein?
Koch-Mehrin: Sie muss vor allem Führungsstärke beweisen. Die EU hat zehn Jahre der Selbstbeschäftigung hinter sich. Die Welt schaut sehr verwundert auf uns. Wir müssen in die Gänge kommen. Da ist vor allem Präsident Barroso gefragt.
Abendblatt: Welche europapolitischen Initiativen erwarten Sie von der schwarz-gelben Bundesregierung?
Koch-Mehrin: Europapolitik muss einen höheren Stellenwert bekommen, und die Regierung muss endlich mit einer Stimme sprechen. Es kann nicht sein, dass unterschiedliche Ministerien hier in Brüssel unterschiedliche Positionen vertreten.
Abendblatt: Wer sollte federführend sein?
Koch-Mehrin: Die Europapolitik sollte viel stärker als in den vergangenen Jahren im Auswärtigen Amt koordiniert werden. Der neue Außenminister Guido Westerwelle wird sehr schnell das Heft des Handelns in die Hand nehmen.
Abendblatt: Das wird die Kanzlerin nicht gerne hören.
Koch-Mehrin: Bundeskanzlerin Merkel hat gar nicht die Möglichkeit, sich um alles selbst zu kümmern ...