Der angestrebte Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP nimmt zunehmend Gestalt an: Unterhändler der Parteien einigten sich gestern auf ein geplantes Verbot sittenwidriger Löhne sowie die Verlängerung von AKW-Laufzeiten.
Berlin. Auch in der Innen- und Sicherheitspolitik kamen die Arbeitsgruppen entscheidend voran. Noch strittige Punkte gab es unter anderem in den Bereichen Gesundheit sowie Steuern und Finanzen.
"Wir sind uns einig, dass wir einen Mindestlohn in Deutschland ablehnen", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla der ARD. Sittenwidrige Löhne sollten jedoch gesetzlich verboten werden. Ein Lohn soll dann als sittenwidrig gelten, "wenn er ein Drittel unter dem Durchschnitt des branchenspezifischen Lohnes liegt". Die Gewerkschaften kritisierten den Beschluss scharf. Das Vorhaben "zementiert Hungerlöhne", erklärte DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki.
In der Atompolitik verständigte sich die zuständige Arbeitsgruppe darauf, die Laufzeiten als sicher eingestufter Atomkraftwerke zu verlängern. Es sei klar, dass "Laufzeitverlängerung ein Maßstab sein wird, der in dem Koalitionsvertrag eine Rolle spielt", sagte Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in Berlin. Details der Neuregelung sollten im Koalitionsvertrag aber offenbleiben.
Überraschend schnell einigten sich Union und FDP noch gestern Abend in allen wichtigen Streitpunkten der Innen- und Sicherheitspolitik. Erfolgreich abgeräumt wurden unter anderem die brisanten Themen BKA-Gesetz, Online-Durchsuchungen, Internetsperren und Vorratsdatenspeicherung. Dem Kompromiss zufolge wird die umstrittene Vorratsdatenspeicherung bis zu dem im Frühjahr erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt. Ebenfalls nicht zur Anwendung kommen ein Jahr lang die Internet-Zugangssperren zur Bekämpfung von Kinderpornografie. Das Recht zu Online-Durchsuchungen für das Bundeskriminalamt soll nicht auf andere Behörden ausgedehnt werden.
Zudem wollen Union und FDP härter gegen jugendliche Straftäter vorgehen. Die Unterhändler einigten sich auf höhere Strafen bei Mordfällen sowie auf die Einführung eines "Warnschussarrestes". Damit können Jugendrichter auch bei einer Bewährungsstrafe die Verurteilten zusätzlich für kurze Zeit in Jugendarrest schicken. Damit reagieren die künftigen Regierungspartner auch auf den Mord in einer Münchner S-Bahn Mitte September an einem 50-Jährigen, der Kinder gegen Angriffe von Jugendlichen geschützt hatte.
Die Verhandlungen über das Kernthema Steuern und Finanzen wurden auf heute vertagt. Erkennbare Ergebnisse gab es zunächst nicht, doch sprachen beide Seiten von deutlichen Fortschritten. Gerungen wird weiter um das Ausmaß besonders von der FDP geforderter Steuerentlastungen. Ebenfalls bis in die Nacht hat die Koalitionsarbeitsgruppe Gesundheit über die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen beraten.
Am Wochenende geht es für die künftige Koalition erstmals ums Ganze. Von heute bis Sonntag soll eine dreitägige Klausur den Durchbruch bei den zentralen Themen bringen. Die Personalfrage werde an diesem schwarz-gelben Selbstfindungswochenende, für das die Landesvertretung Nordrhein-Westfalens Gastgeber ist, noch nicht behandelt, versichern alle Beteiligten. Nach der ersten Runde soll ab Sonnabendmittag dann die Einvernahme der einzelnen Verhandlungsführer in den Untergruppen durch die drei Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) folgen, sogenannte "Beichtstuhlgespräche". Stehen soll der Koalitionsvertrag am Freitag kommender Woche.