Die von der CSU geforderte Festschreibung eines Neins zum EU-Beitritt der Türkei spielt in den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP keine Rolle mehr.
Berlin. "Wir haben in der Arbeitsgruppensitzung gerade mal zwei Minuten über dieses Thema gesprochen. Es herrscht Konsens darüber, dass wir uns im Koalitionsvertrag nicht auf ein Ja oder Nein festlegen, sondern dass eine Formulierung gefunden wird, mit der alle Parteien ihr Gesicht wahren können", bestätigte der FDP-Bundestagsabgeordnete Florian Toncar, der seine Partei in der Koalitionsarbeitsgruppe Außen/Verteidigung vertritt, dem Abendblatt.
"Das war wohl eine typische Aktion von Herrn Seehofer, aber überhaupt nicht Gegenstand unserer Verhandlungen", so Toncar weiter. Er bekräftigte: "Es gibt keinen Konflikt in dieser Sache."
Zuvor hatte es geheißen, die CSU verlange in den Gesprächen eine förmliche Absage an eine Vollmitgliedschaft der Türkei. Die FDP ist der Ansicht, dass sich die Frage eines EU-Beitritts der Türkei in den nächsten vier Jahren ohnehin noch nicht stelle. "Wir werden uns auf eine Formulierung einigen, mit der alle leben können", heißt es hinter vorgehaltener Hand dazu inzwischen auch aus der CSU-Landesgruppe.
Streit gibt es demnach vielmehr weiterhin um die von der FDP geforderte Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Denn die Union will unbedingt an der Wehrpflicht festhalten. "Das sorgt für heftige Auseinandersetzungen. Wir haben dennoch keinen Anlass, uns von dieser Position zu verabschieden. Somit muss das Thema von der großen Runde der Parteispitzen entschieden werden", sagte der FDP-Politiker Toncar.
In der Atompolitik ringen Union und Liberale unterdessen darum, ob sie im Koalitionsvertrag konkrete Daten für die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken nennen. Es solle deutlich werden, wann die Atomkraft als Brückentechnologie nicht mehr nötig sei, forderte etwa FDP-Vize Andreas Pinkwart. CDU-Politiker wandten sich indes gegen eine Festlegung hinsichtlich der Akw-Laufzeiten im Koalitionsvertrag. Die Frage der Laufzeiten sei "im Moment noch offen" und könne "jetzt nicht auf Zuruf entschieden werden", sagte der CDU-Energieexperte Joachim Pfeiffer nach einer gemeinsamen Sitzung der Koalitionsarbeitsgruppen Wirtschaft und Umwelt zu dem Thema. Ihre Verlängerung hänge davon ab, welche Rolle die Atomenergie in einem Energiekonzept "als Brückentechnologie spielen kann und spielen wird".
Atomkraftgegner sahen in der Haltung der Unionspolitiker eine Reaktion auf "die atomkritische Stimmung" in der Bevölkerung. "Der Druck für einen echten Atomausstieg ist so groß, dass sie es nicht wagen, Details dazu festzulegen", erklärte der Sprecher der bundesweiten Anti-Atom-Organisation "ausgestrahlt", Jochen Stay. "Stattdessen schieben sie die Entscheidung vor sich her - am liebsten bis nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen."
Auch in den Streitpunkten Gesundheit, Bürgerrechte und Kündigungsschutz zeichnete sich gestern keine Annäherung ab. So ist die Zukunft des Gesundheitsfonds weiter offen. Unklar ist auch noch, wie im kommenden Jahr das milliardenschwere Defizit bei den Krankenkassen ausgeglichen werden soll, hieß es aus den Parteien.
Lediglich bei den versprochenen Steuererleichterungen kamen sich die Verhandlungspartner offenbar etwas näher. Insgesamt wurden die Gespräche als "zäh" beschrieben. Dennoch wollen beide Seiten einen Durchbruch bei der Klausurtagung am Wochenende erreichen. Doch inzwischen wird bezweifelt, ob das angesichts der Fülle der Streitfelder tatsächlich ein realistisches Ziel ist.