Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier taten sich nicht weh - sie spielten die Große Koalition vorsichtshalber schon einmal weiter.
Berlin.
In Studio 20, Berlin-Adlershof, herrscht schon abends um 19 Uhr Hochbetrieb in der zum Pressezentrum umfunktionierten Produktionshalle. Das Gelände ist weiträumig abgesperrt, jeder Ausweis wird kontrolliert - Sicherheitsstufe eins. Keiner der Beteiligten will an diesem Abend irgendetwas dem Zufall überlassen. Schon gar nicht die Kontrahenten: Angela Merkel muss ihre Favoritenrolle verteidigen, die ihr 64 Prozent der Zuschauer zusprechen. Und für Steinmeier ist dies die entscheidende Chance, eine Trendwende herbeizuführen.
Und deshalb ist es völlig unverständlich, dass beide die ersten 20 Minuten nutzlos verplempern. "Eher ein Duett als ein Duell", spottet Maybrit Illner zu Recht, worauf Merkel mit viel Energie die semantische Lufthoheit wiederherzustellen sucht: "Ob Duett oder Duell, das lassen wir doch besser die Zuschauer entscheiden.
Ja, aber wonach entscheiden? Immer deutlicher wird: Hier geht es ja nicht um die Sachkompetenz der Kandidaten. Es geht um ihre Fähigkeit zur Empathie - mit krisengebeutelten Firmen, mit Hartz-IV-Empfängern oder Niedriglohn-Beziehern. Und diese Empathie kommt nicht rüber. So kann Merkel nicht punkten bei der Frage "4,98 Euro für einen Herrenschnitt beim Frisör, ist das o.k.?", denn sie verweist trocken-mechanistisch darauf, dass man da für Mindestlöhne gerade ein Gesetz mit Endlosnamen verabschiedet habe.
Auch Steinmeier erkennt seine Chance erst im zweiten Anlauf, als Moderator Limbourg fragt, welche Glaubensgrundsätze mit der Krise kaputtgegangen seien. Nach einem völlig unpräzisen Gemeinplatz kommt doch noch eine Aussage zustande: "Die Krise in den Köpfen wird bleiben. Wir brauchen einen Neustart in der sozialen Marktwirtschaft."
Um Punkt 21 Uhr versucht es ein schon leicht genervter Frank Plasberg mit dem Streitthema Atomkraft. Merkel wiederholt: "Für mich ist sie eine Brückentechnologie, Bestandteil eines Energiemixes." Zu klären sei, ob man 2020 aussteigen müsse oder ob es eine längere Frist geben müsse. Steinmeier wird klarer: "Atomkraft ist nicht verantwortbar." Mit der SPD werde es keinen Weg zurück in die Atomkraft geben. "Sie haben sich in den vergangenen Jahren von Umfragen beeinflussen lassen", weil es schien, als sei die große Atomkontroverse vorbei, wirft er Merkel vor. Aber auch diese Kontroverse ist wie Wattebäuschchenwerfen.
Die Kanzlerin bleibt in der Deckung. Schon im großen "Süddeutsche"-Grundsatzinterview am Wochenende verzichtete sie auf Abgrenzung. CDU und CSU seien "große Volksparteien der Mitte, die SPD hat da schon etwas Mühe" - weiter griff sie nicht an, und es sei "nicht ehrenrührig", wenn "mich auch einige Anhänger der Grünen, der Liberalen oder der SPD gut finden". Die mehrheitsfähige, besonnene, unaufgeregte Lenkerin, die eigentlich ein bisschen von allen Parteien mitvertritt - von dieser Linie verspricht sie sich offenbar Erfolg.
Aus genau dieser Reserve müsste Steinmeier sie jetzt endlich herauszerren. Steinmeier sei heute die Schlüsselfigur, hatte der Politikberater Michael Streng prophezeit: Er müsse die Kanzlerin in ihrem "Vermeidungswahlkampf" entlarven. Einen Vorstoß startete Steinmeier schon mal am Wochenende in Sachen Afghanistan: Er will die Debatte um den Abzug der Bundeswehr vorantreiben. Eine verbindliche Frist, die er Merkel unter die Nase reiben könnte, nennt er aber nicht. Und weder zerpflückt er Merkels farblosen Verteidigungsminister Franz Josef Jung, noch zerpflückt sie seine Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Um 21.30 Uhr ist klar geworden: Beide scheinen sich auf eine Fortsetzung ihrer Koalition, ihrer "Vernunftehe", einzustellen. Man hat ja zusammen Opel ein bisschen gerettet. Man will ja die internationale Finanzwirtschaft gemeinsam zur Ordnung rufen und weiterhin gemeinsam Gesetze für gerechteren Lohn und Gesundheitsversorgung machen. Man muss, das wissen beide, in Afghanistan Bündnistreue mit Pragmatismus verbinden.
Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt: Bei der Steuerpolitik gerieten die beiden inhaltlich mal aneinander. Das "Glaubwürdigkeitsproblem" entstehe da, wo "Frau Merkel" in einem Nebensatz sage, sie werde die Steuern senken, so Steinmeier, und das sei in Anbetracht der Haushaltslage unrealistisch. Merkel kontert erwartungsgemäß: "Entlastung schafft Wachstum, und Wachstum schafft Arbeit." Steinmeier zweifelt ein bisschen, und Plasberg sagt: "Ich freue mich so über Diskussionen bei Ihnen, da störe ich nur ungern."
Aber Steinmeier rennt gegen Merkels Nüchternheit an wie gegen eine Gummiwand. Er gibt selber zu, er habe "nichts von einem Wüterich". Man kann auch sagen: Der Mann weiß gar nicht, wie man Killerinstinkt schreibt.
Hier wird nicht gemeinsam gestritten, sondern hier werden getrennte Interviews mit zwei Menschen geführt, die sich einfach zu ähnlich sind. Zwei fleißige protestantische Sacharbeiter, deren Stil die Schmucklosigkeit der Vernunft ist. Ein Duell mit absurden Zügen.
Zum Schluss sagt Merkel den entscheidenden Satz: Ihr gehe es mehr um das Verbindende als um das Trennende. Eine schönere Liebeserklärung hätte sie Steinmeier, der Mitte und überhaupt allen Sacharbeitern nicht machen können ... Visionen stören da nur. Vielleicht lag die Magie dieses Abends darin, dass die Zuschauer (sofern sie nicht eingeschlafen sind) mehr von politischer Mechanik verstanden haben, als den Kandidaten lieb sein kann.
Merkel hat bisher im Wahlkampf hervorragend verstanden, dass eine kleine berlinerische Sottise wirksamer sein kann als jedes Volkstribuninnen-Pathos. Sie zeigte sich als bodenständige Ratgeberin, die die Nöte und Sorgen der Menschen versteht. Aber diesmal ist Merkels Kakül nicht aufgegangen. Bei den Umfragen nach der Sendung kostet die Profillosigkeit sie wichtige Sympathiepunkte.
"Wo war das Mitreißende, das Profil, der Aufbruch?", fragte Günther Jauch nach dem "Duell". "Frech formuliert: Das war eine Bewerbung der beiden für die Fortsetzung der Großen Koalition", sagte der Berliner Medienpsychologe Jo Gröbel. Die Duellanten hätten ja "fast mehr Streitigkeiten mit den Moderatoren ausgefochten als untereinander", fand Politikwissenschaftler Eckhard Jesse.
Nur Franz Müntefering freute sich: "Das war der Durchbruch im Wahlkampf." Intendant Claus Peymann widersprach: "Im Theater wäre das durchgefallen."