Der Einfluss von Einwanderern auf die Sitzverteilung im Bundestag wächst. Schon 4,1 Millionen sind wahlberechtigt.
Berlin. Türkischstämmige Wähler sollen bei der Bundestagswahl vor allem auf die Vergabe der Erststimme achten, damit möglichst viele Migranten in den Bundestag einziehen. Das jedenfalls empfahl der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat, gestern in Berlin. "Wir wollen Personen wählen, keine Parteien", sagte er. Kolat forderte die türkischstämmigen Wähler auf, ihre Erststimme Direktkandidaten wie zum Beispiel Cem Özdemir (Grüne), Lale Akgün (SPD), Sevim Dagdelen (Linke) oder Serkan Tören (FDP) zu geben, die im Bundestag für sie etwas bewirken könnten. Kolat riet damit zu einer "taktischen Wahl" am 27. September.
Um die Wähler über die Erst- und Zweitstimme zu informieren, hat die Bundeszentrale für politische Bildung die Broschüre "Du hast die Wahl - Secim Senin" in türkischer Sprache herausgebracht. Gleichzeitig forderte Kolat die Wähler auf, auch die Informationsabende der Parteien zu besuchen und sich deren Wahlprogramme genau anzuschauen. "Was sagen die Parteien zur Integrationspolitik, was zum Beitritt der Türkei in die EU und was zur Integrationspolitik auf dem Arbeitsmarkt und im Ausbildungsbereich?" Diese drei Punkte sollten sich die Wähler genau anschauen und nachhaken, wie ernst es die Parteien meinen.
Gleichzeitig mahnte der Vorsitzende, türkischstämmige Wähler ernst zu nehmen. "700 000 wahlberechtigte Türken sind nicht zu unterschätzen." Ab 17. September will Kolat bundesweit Wahlveranstaltungen für türkischstämmige Wähler veranstalten. Ziel sei es, mindestens 500 000 Menschen zur Wahl zu bewegen. "Macht von eurem demokratischen Recht Gebrauch und geht wählen, damit ihr auch von der Politik wahrgenommen werdet", forderte Kolat.
Tatsächlich wird der Einfluss der Zugewanderten bei Wahlen in Deutschland immer größer. So sind seit 1990 nicht nur 2,5 Millionen Spätaussiedler ins Land gekommen, sondern im selben Zeitraum wurden auch rund 1,7 Millionen Ausländer eingebürgert, die am Sonntag in zwei Wochen ebenfalls zur Wahl aufgerufen sind. Und die Zahl der Menschen mit ausländischen Wurzeln wächst, jedes Jahr werden etwa 100 000 weitere Zuwanderer eingebürgert.
Bei der Bundestagswahl werden rund 4,1 Millionen eingebürgerte Zuwanderer wahlberechtigt sein - so viele wie noch nie zuvor. Je nach Herkunftsland lassen sich Unterschiede in den parteipolitischen Präferenzen feststellen. Untersuchungen belegen, dass die "Russlanddeutschen" zwar aus Dankbarkeit für ihre damals von Helmut Kohl (CDU) ermöglichte Aufnahme in Deutschland mehrheitlich der Union zuneigen. Doch bei den eingebürgerten Zuwandererfamilien aus der Türkei ist das Bild ein anderes. Nach Angaben des Politikwissenschaftlers Andreas Wüst von der Universität Mannheim erreicht die SPD hier starke 39 Prozent, die Union nur neun Prozent. Sie wird sogar von den Grünen überflügelt, die 13 Prozent wählen wollen. Diese Linksorientierung, die der von Zuwanderern anderer südeuropäischer Staaten ähnelt, wird auf die großzügigere Haltung von Rot-Grün in der Einwanderungspolitik zurückgeführt, aber auch auf eine stärkere gewerkschaftliche Bindung dieser Arbeitsmigranten.