Franziska Drohsel (Jusos) und Philipp Mißfelder (Junge Union) über Renten, Horst Schlämmer und Internetzensur.

Berlin. Hamburger Abendblatt:

Frau Drohsel, Herr Mißfelder, warum verstecken Sie sich im Wahlkampf?

Franziska Drohsel:

Ich wüsste nicht, wo ich mich verstecke.

Philipp Mißfelder:

Ich bin sehr sichtbar. Im Internet via Facebook und in meinem Wahlkreis.

Abendblatt:

Trotzdem spielen junge Themen, für die Sie ja zuständig sind, in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle.

Mißfelder:

Gegenfrage: Welche Themen spielen derzeit überhaupt eine Rolle? Wir leisten uns den Luxus, in Zeiten der größten Wirtschaftskrise über den Dienstwagen von Ulla Schmidt und ein Abendessen für Josef Ackermann zu diskutieren. Das ist ein unpolitischer Wahlkampf und Horst Schlämmer ist bisher das größte Medienereignis.

Drohsel:

Erstaunlich, dass du das so siehst. Mir fallen eine Menge wichtiger Themen ein: Studiengebühren, der Kampf gegen Rechts, der Mangel an Ausbildungsplätzen. Wir Jusos haben damit gut zu tun.

Mißfelder:

Ich könnte genauso viele Aktionen der JU aufzählen, wo wir Plakate auf- und abhängen oder diskutieren, aber das ändert nichts daran. Beobachter sagen, dieser Wahlkampf sei der langweiligste, den es je gab.

Abendblatt:

Sind Sie frustriert?

Mißfelder:

Nein. Ich bin kämpferisch. Wir werden als JU drei Wochen nach der Wahl bei unserem Deutschlandtag in Münster sehr offen diskutieren, was die schwarz-gelbe Bundesregierung für die Zukunft der jungen Menschen tun muss. In der Großen Koalition wurde das Thema Generationengerechtigkeit vor allem von der SPD ausgebremst.

Drohsel:

Auch wir haben Kritik an der Großen Koalition, weil die Union immer wieder notwendige Projekte wie den Mindestlohn verhindert hat. Aber wir verstehen uns nicht wie die JU als Plakatklebetruppe der Mutterpartei. Wir diskutieren eigenständig, was uns wichtig ist. Und wir engagieren uns stark im Jungwählerinnenbereich. Da sind wir sehr erfolgreich.

Mißfelder:

In welchem Bereich?

Drohsel:

In dem der jungen Wählerinnen und Wähler.

Mißfelder

(lacht) : Aha, JungwählerInnen mit großem I, die alte Feminismustradition.

Drohsel:

Du musst gerade lästern. Deine Partei ist ja auch so bekannt für progressive Gleichstellungspolitik.

Mißfelder:

Wir haben ja auch eine Bundeskanzlerin durchgesetzt.

Drohsel

(lacht) : Ja, super. Das hat noch lange nichts mit Gleichstellungspolitik zu tun.

Mißfelder:

Nur blöd, dass es bei der SPD gar keine Frauen in Führungspositionen gibt.

Drohsel:

Du weißt ganz genau, wie viele Top-Frauen wir haben.

Mißfelder:

Wen denn, deine Vorgängerin als Jusochefin Wieczorek-Zeul etwa? Wir haben nicht nur Angela Merkel, sondern auch Ursula von der Leyen ...

Drohsel:

... der Manuela Schwesig schon jetzt ordentlich Paroli bietet. Und wir haben nicht nur Heidemarie Wieczorek-Zeul, sondern auch Andrea Nahles, also mach mal einen Punkt.

Mißfelder:

Entschuldige bitte, alle Namen, die du aufgezählt hast, spielen in der Wahrnehmung der Deutschen doch kaum eine Rolle. Du lebst in Berlin ...

Drohsel:

... in Kreuzberg ...

Mißfelder:

... und ich lebe da, wo in Deutschland die Wahlen entschieden werden. In Nordrhein-Westfalen wohnen die meisten Menschen. Meine Lebenswirklichkeit ist Recklinghausen und Castrop-Rauxel. Und da kennt diese Frauen kein Mensch.

Abendblatt:

Ursula von der Leyen hat sich bei jüngeren Leuten unbeliebt gemacht, weil sie ein Gesetz zur Sperrung von Internetseiten durchgesetzt hat.

Drohsel:

Was völlig über das Ziel hinausschießt und von uns Jusos strikt abgelehnt wird. Wir sind gegen die Zensur im Internet, und dafür bekommen wir aktuell bei Jungwählern viel Zuspruch.

Mißfelder:

Die CDU darf in der Kommunikation ihrer Internetpolitik nicht auf Dauer einen falschen Eindruck erwecken. Wir sind keine Verbotspartei. Viele ältere Politiker haben keine Ahnung und vermischen in ihren Äußerungen die Computerspieldebatte, den Erziehungsauftrag der Eltern und die Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet, um die es geht. Jetzt sind die Sperren beschlossen, sie müssen aber bei Erfolglosigkeit auf den Prüfstand gestellt werden.

Abendblatt:

Finanzminister Peer Steinbrück hat zur Rentenpolitik gesagt: Die Gekniffenen sind die heute 25- bis 35-Jährigen.

Mißfelder :

Ich habe eines mit Herrn Steinbrück gemeinsam: Wir haben beide für die Renten-Garantie im Bundestag gestimmt. Der Unterschied ist: Er ist ein Flip-Flopper. Er sagt am einen Tag dies, am anderen das und stimmt doch wieder anders ab.

Abendblatt:

Sie weichen aus.

Mißfelder:

Die Zustimmung zur Rentengarantie ist mir nicht leicht gefallen. Aber ein Nein hätte die ältere Generation, die bereits ihren Beitrag leistet, verunsichert. Zumal die Lohnentwicklung ja viel positiver ist, als Arbeitsminister Scholz suggerieren wollte. Die Frage von Rentenkürzungen stellt sich gar nicht.

Drohsel:

Ich finde die Garantie richtig. Es muss Schluss damit sein, dass wir in Deutschland Jung gegen Alt ausspielen. Die eigentliche Konfliktlinie verläuft zwischen Arm und Reich.

Abendblatt:

Was würden Sie anders machen, wenn Sie anstelle von Frank-Walter Steinmeier SPD-Kanzlerkandidatin wären?

Drohsel:

Natürlich haben wir Jusos eigene Positionen, die uns von der Partei unterscheiden. Auch in so einer Situation würden wir die vertreten, beispielsweise wenn es um die stärkere Belastung für die Vermögenden geht.

Mißfelder:

Eure Taktik ist doch klar. Ich kenne euch ja auch schon ein paar Jahre. Andrea Nahles, Niels Annen, Björn Böhning und du, ihr habt folgenden Plan: Ihr freut euch diebisch darüber, dass Steinmeier die Karre gerade dermaßen gegen die Wand fährt. Dann kann sich am 28. September im SPD-Vorstand die Juso-Chefin zu Wort melden und sagen: Das Programm war falsch, die Wahlkampfführung war falsch. Und die SPD hätte sich viel stärker der Linkspartei zuwenden müssen. Damit werdet ihr die Palastrevolte gegen die Parteiführung einleiten.

Drohsel:

Wir sind ein politischer Jugendverband und kein Intrigantenverein. Uns geht es um politische Veränderungen, und darum kämpfen wir mit der SPD.

Mißfelder:

Nach dem 27. September werden wir sehen, was ihr Steinmeier alles an den Kopf werft. Ihr habt jetzt einen Burgfrieden geschlossen. Die wahren Konflikte brechen danach auf.

Drohsel:

Das mag dein Niveau sein. Meins ist es nicht. Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit, die Kostenfreiheit des Bildungssystems und das Festhalten am Atomausstieg. Für infame Spielchen geben wir uns nicht her.

Abendblatt:

Herr Mißfelder, was würden Sie anders machen als Angela Merkel, wenn Sie Spitzenkandidat wären?

Mißfelder:

Nichts. Denn sie macht alles richtig.

Drohsel:

Merkel hat doch gar keine Vorstellungen davon, wie unser Land aus der Krise kommt. Wie die Zukunft des Arbeitsmarkts zu gestalten ist. Wir haben den Deutschland-Plan, der eine echte Perspektive aufzeigt. Sie weicht immer nur aus.

Abendblatt:

Am Sonntag wählen Thüringen, Sachsen und das Saarland. Frau Drohsel, kann die SPD in Thüringen auch als Juniorpartner der Linkspartei in die Regierung gehen?

Drohsel:

Unser Spitzenkandidat Christoph Matschie hat sich klar positioniert. Die SPD geht nur in so ein Bündnis, wenn sie den Ministerpräsidenten stellen kann.

Mißfelder:

Aber du sagst doch überall, dass du grundsätzlich für Linksbündnisse bist.

Drohsel:

Ich bin gegen Denkverbote. Wenn es - wie in Berlin - inhaltlich und von den Akteuren passt, dann hat Rot-Rot meine volle Unterstützung.

Mißfelder:

Ich halte fest: Franziska Drohsel ist eine ehrliche Politikerin. Sie sagt im Gegensatz zu Andrea Ypsilanti schon vor der Wahl, dass sie mit den Linken gemeinsame Sache machen will.

Drohsel:

Das habe ich so nicht gesagt. Ich bin dagegen, rot-rote Bündnisse kategorisch auszuschließen. Meine Partei hat mit übergroßer Mehrheit eine solche Konstellation auf Bundesebene ausgeschlossen. Das muss auch ich zur Kenntnis nehmen. Mittelfristig sollten wir schauen, wie sich die Linken entwickeln, wie wir uns entwickeln, wie die Grünen sich entwickeln.

Abendblatt:

Herr Mißfelder, würden Sie denn im Bund ein Bündnis zwischen CDU und Grünen einer neuen Großen Koalition vorziehen?

Mißfelder:

Unser Ziel ist eine Koalition mit der FDP, eine bürgerliche Mehrheit! Solange Jürgen Trittin und Claudia Roth am Ruder sind, kommt ein Bündnis mit den Grünen nicht infrage. In der Zukunft können zwar solche Bündnisse entstehen. Aber die Grünen haben ja sowieso schon klipp und klar erklärt, dass sie mit uns nach dieser Wahl nichts zu tun haben wollen.

Drohsel:

Apropos FDP: Sowohl bei der Frage der Online-Überwachung als auch bei der Vorratsdatenspeicherung sind wir auf einer Linie mit den Liberalen, auch wenn dich das stört. Mit den Jungen Liberalen haben wir uns in der letzten Zeit nicht selten auf Demonstrationen getroffen, die sich gegen diese Maßnahmen richten. Wenn es um die Verteidigung von Bürgerrechten geht, verstehen wir uns ganz gut.

Mißfelder:

Hinter den Kulissen versucht die SPD ja sowieso schon längst, die FDP noch auf ihre Seite zu ziehen, um in einem Dreierbündnis mit den Grünen an die Macht zu kommen.

Drohsel:

Das sind schon wieder groteske Mutmaßungen. Im Gegensatz zu euch machen wir unsere Zusammenarbeit an inhaltlichen Kriterien fest.

Mißfelder:

Hört, hört.

Ich kann deshalb nur jedem Wähler sagen: Wer eine bürgerliche Regierung will, muss Union wählen.

Drohsel:

Ihr habt wohl doch Angst, dass es nicht reicht?

Mißfelder:

Ich kämpfe.

Drohsel:

Ich kämpfe auch.