Ärzte müssen künftig schriftliche Verfügung eines Kranken befolgen, auch wenn das dessen Tod bedeuten könnte.
Berlin. Die Bundestagsabgeordneten haben es sich wahrlich nicht leicht gemacht. Sechs Jahre lang haben sie immer wieder über die Frage debattiert, ob eine sogenannte Patientenverfügung im Ernstfall rechtlich verbindlich ist. Eine schwierige ethische und in gewisser Weise auch akademische Frage. Denn, wie es der FDP-Abgeordnete Michael Kauch gestern formulierte, ob die lebensverlängernde Medizintechnik "ein Geschenk ist oder eine Qual, das kann jeder nur für sich selbst bestimmen".
Diese Debatte ist seit gestern beendet. Von nun an gibt es für Ärzte und Betreuer mehr Rechtssicherheit, wo es um das Schicksal von Schwerkranken geht, die ihr Bewusstsein verloren haben und nicht mehr für sich selber sprechen können. Vorausgesetzt, sie haben irgendwann eine Patientenverfügung hinterlegt, was nach Mitteilung der Deutschen Hospiz-Stiftung inzwischen immerhin neun Millionen Bundesbürger getan haben.
Bis zum Schluss ging es im Parlament darum, ob es überhaupt eines Gesetzes bedurfte. "Es kann auch eine parlamentarische Verantwortung sein, wenn man zu dem Schluss kommt, dass keine rechtliche Regelung so gut ist wie eine rechtliche Regelung", sagte der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe. Ähnlich hatte sich auch die Bundesärztekammer geäußert, aber Hüppe - "Es ist der Versuch, etwas zu regeln, was man nicht regeln kann!" - scheiterte mit seinem Antrag, auf eine Neuregelung zu verzichten.
Durchsetzen konnte sich am Ende der weitestgehende Antrag des rechtspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Joachim Stünker. Er wurde mit einer Mehrheit von 317 Ja-Stimmen bei 233 Gegenstimmen und fünf Enthaltungen angenommen. Das bedeutet: Wenn ein Patient bewusstlos wird, sich nicht äußern kann, ins Koma fällt - dann gilt der schriftlich niedergelegte Wille. Auch wenn die Krankheit nicht unbedingt tödlich endet. Und selbst dann, wenn vor dem Abfassen der Verfügung keine ärztliche Beratung stattgefunden hat. Ein Vormundschaftsgericht wird nur angerufen, wenn sich Arzt und Bevollmächtigter nicht einig sind. Brigitte Zypries (SPD) reagierte prompt: "Ich freue mich sehr, dass es nach jahrelangem Ringen gelungen ist, die Patientenverfügung gesetzlich zu verankern und damit die berechtigten Erwartungen von Millionen Bürgerinnen und Bürgern zu erfüllen", sagte die Bundesjustizministerin nach der Abstimmung.
Für den Antrag des CSU-Abgeordneten Zöller stimmten gestern nur 77 Abgeordnete. Zöller hatte vorgeschlagen, auch durch Zeugen übermittelte Willensbekundungen sollten reichen, wenn keine Patientenverfügung vorliege. Die "individuelle Ermittlung der aktuellen Situation" durch Ärzte, Betreuer und Familienangehörige vorausgesetzt.
Wolfgang Bosbach (CDU) konnte sich ebenfalls nicht durchsetzen. Er und weitere Abgeordnete auch von SPD und Grünen waren der Ansicht gewesen, wer eine Patientenverfügung ausfülle, müsse sich erst von einem Arzt beraten lassen, um die ganze Tragweite seiner Entscheidung ermessen zu können. Und nur dann dürfe seine Anordnung hinsichtlich eines Behandlungsabbruchs später verbindlich sein.
Wie immer vor sogenannten Gewissensentscheidungen war der Fraktionszwang vor der Abstimmung aufgehoben worden. Und wie immer in solchen Fällen verlief die vorangestellte Debatte engagiert und lebhaft. Leidenschaftlich appellierte Joachim Stünker an seine Bundestagskollegen, die Menschen hätten "einen Anspruch darauf, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht nur in der Verfassung steht, sondern auch im Alltag eingehalten wird". Jeder Patient habe deshalb auch das Recht, seiner Krankheit ihren natürlichen Verlauf zu lassen - eine Pflicht zum Lebenserhalt "mit allen Mitteln" gebe es nicht. Jerzy Montag von den Bündnisgrünen rief die dramatischen Fälle in Erinnerung, in denen junge Menschen jahrelang im Koma lagen, obwohl ihre Angehörigen für ein Abschalten der Maschinen kämpften.