Die Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen nehmen im Laufe der Schulzeit zu.
Berlin - Eine Grund dafür sind geschlechtsspezifische Vorurteile, wie die jüngste PISA-Sonderuntersuchung zeigt. Die Daten für die gestern in Paris veröffentlichte Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stammen aus den internationalen Untersuchungen der Schulleistung (PISA) und anderen Studien in den OECD-Industrieländern.
Das klassische Rollenbild von Mann und Frau präge bei Eltern wie Lehrern nach wie vor das Förderverhalten und habe entsprechende Auswirkungen auf die Studienfach- und Berufswahl, heißt es in der von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veröffentlichten Studie. Dabei unterscheidet sich Deutschland nicht wesentlich von anderen Industriestaaten.
Der Studie zufolge erzielen zehnjährige Jungen und Mädchen beim Rechnen gegen Ende ihrer Grundschulzeit noch nahezu die gleichen Ergebnisse. Dagegen schneiden fünfzehnjährige Jungen beim Mathe-Leistungsvergleich in fast allen OECD-Ländern besser ab als die gleichaltrigen Mädchen. Beim Lesen sind Mädchen bereits in der Grundschule den Jungen überlegen. Dieser Unterschied verstärkt sich in der weiteren Schullaufbahn - auch durch die von Eltern und Lehrern vermittelten Vor- und Rollenbilder. "Viele Länder können mit Recht stolz darauf zu sein, dass Jungen und Mädchen in den schulischen Kernfächern die gleichen Leistungen erbringen", sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurria. "Wir dürfen aber nicht akzeptieren, dass Vorurteile wie 'Lesen ist nichts für Jungen' oder 'Mathe ist nichts für Mädchen' weiter bestehen. Solche Ansichten führen dazu, dass unseren Gesellschaften wichtiges Bildungspotenzial verloren geht." Wie sehr das Verhalten der Eltern das spätere Lerninteresse von Jugendlichen beeinflussen kann, wird bei einer Begleitumfrage deutlich. Danach sehen sich in Deutschland Eltern mit ihren zehnjährigen Söhnen fast doppelt so häufig wissenschaftliche Fernsehsendungen an wie mit ihren Töchtern.
Auch die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg und Beruf scheint laut Studie mehr von Klischees und Rollenbildern als von den tatsächlichen Fähigkeiten abhängig zu sein. Obwohl sich in den Naturwissenschaften die Schulleistungen von Jungen und Mädchen kaum unterscheiden, studieren junge Frauen deutlich häufiger Biowissenschaften. In mathematisch- oder ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen sind dagegen in allen untersuchten OECD-Staaten die jungen Männer überrepräsentiert.
Der Bericht geht davon aus, dass Lehrkräfte deutlich mehr für die Gleichberechtigung der Geschlechter tun könnten. Sie bräuchten dazu aber auch die Unterstützung aus der Gesellschaft. Lehrer müssten sich der Erwartungen, die sie gegenüber ihren Schülern haben, bewusst werden, fordern die Autoren der Studie. "Sie müssen Strategien entwickeln, um das Selbstbewusstsein und die Motivation der Schülerinnen und Schüler in ihren schwachen Fächern zu stärken."