Der bayerische Ministerpräsident über Querulantentum, Kanzlerin Angela Merkel und Gabriele Pauli - und über soziale Marktwirtschaft, Steuersenkungen und den Bundestagswahlkampf der Union.

München. Hamburger Abendblatt:

Herr Seehofer, dürfen wir Sie zu Beginn mit dem Namen einer Frau konfrontieren?

Horst Seehofer:

Freilich.



Abendblatt:

Wie groß ist Ihr Respekt vor Gabriele Pauli?

Seehofer:

Vor der Person Pauli habe ich Respekt, vor ihren politischen Achterbahnfahrten ist der Respekt sehr eingeschränkt.



Abendblatt:

Als CSU-Landrätin von Fürth hat Frau Pauli maßgeblich zum Sturz von Edmund Stoiber beigetragen. Als Spitzenkandidatin der Freien Wähler für die Europawahl könnte sie nun einen weiteren CSU-Vorsitzenden in Bedrängnis bringen ...

Seehofer:

Darüber mache ich mir keine Gedanken.



Abendblatt:

Wird einem CSU-Chef verziehen, wenn er den Einzug ins Europaparlament verfehlt?

Seehofer:

Ich bin täglich unter den Menschen und weiß: Diese Situation tritt nicht ein. Das ist eine totale Geisterdiskussion, und mit Gespenstern habe ich mich nie beschäftigt.



Abendblatt:

Hat Ihre Partei das Trauma der Bayern-Wahl, den Verlust der absoluten Mehrheit schon verarbeitet?

Seehofer:

Ja.



Abendblatt:

Was hat sich seit Herbst verändert - außer dass die CSU wieder einen Vorsitzenden hat, der sich leidenschaftlich gern mit der Kanzlerin anlegt?

Seehofer:

Die CSU ist gut in Form und ist mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattet. Wir sind jetzt die jüngste und dynamischste politische Kraft in Deutschland. Und was meine Person angeht: Ich habe vor dem bayerischen Landtag als Eid gesprochen, dass ich für die politischen Interessen meines Landes eintrete und Schaden von Bayern abwende. Deshalb ist es meine Pflicht, in Berlin die bayerischen Anliegen nicht nur anzusprechen, sondern auch durchzu-setzen.



Abendblatt:

Die CDU-Politiker, die Sie für einen Streithansl halten, tun Ihnen also unrecht.

Seehofer:

Total. Unter Streithansl verstehe ich Menschen, die ständig quengeln, aber nichts bewegen. Und wir haben uns mit jeder Initiative in Berlin durchgesetzt: die Erbschaftssteuerreform, die Steuer- und Abgabensenkung, die Schuldenbremse - das ist kein Querulantentum, sondern vernünftige Politik. Ohne die CSU würde es zum 1. Juli nicht Steuer- und Abgabensenkungen von 25 Milliarden geben.

Abendblatt:

Warum tritt die CSU zur Europawahl mit einem separaten Wahlprogramm an?

Seehofer:

Weil es Punkte gibt, wo wir nicht mit der CDU übereinstimmen. Aber das ist kein Beinbruch. Wir wollen die Bevölkerung bei grundlegenden Europaentscheidungen abstimmen lassen. Wenn nationale Souveränitätsrechte auf die Europäische Union übertragen werden, sollte man schon die Familie des deutschen Volkes vorher befragen. Wir wollen auch weniger Zentralismus und mehr Regionalität. Viele Fragen sollten in Hamburg oder Bayern entschieden werden und nicht in Brüssel.



Abendblatt:

Zum Beispiel?

Seehofer:

Wie in Bayern oder anderen Bundesländern Grund und Boden genutzt werden, geht Brüssel überhaupt nichts an. Wir haben empfindliche Naturräume und sehr kleine Parzellen in der Landwirtschaft. Daher wollen wir in Bayern beim jetzigen Forschungsstand keine wirtschaftliche Nutzung der grünen Gentechnik. Der Schutz von Mensch und Umwelt muss Vorrang haben. Bisher hindert uns die EU daran, den kommerziellen Anbau genveränderter Nahrungsmittel zu verbieten. Daher fordern wir, das europäische Recht entsprechend zu ändern.



Abendblatt:

Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner hat erst Gen-Mais verboten und dann Gen-Kartoffeln erlaubt. Können Sie den Zickzackkurs Ihrer Parteifreundin erklären?

Seehofer:

Da gibt es kein Zickzack. Man muss die wirtschaftliche Anwendung der grünen Gentechnik von der Forschung unterscheiden. Der Gen-Mais Mon810 wird ökonomisch genutzt, und sein Verbot ist richtig, weil es nicht abgeklärte Risiken gibt. Dagegen ist die Amflora-Kartoffel ein Forschungsversuch. Ich möchte nicht, dass uns China in fünf oder zehn Jahren die Fragen der Gentechnik beantwortet. Daher sollte sich Deutschland als hoch entwickeltes Land aus dieser Forschung nicht zurückziehen. Wichtig ist jetzt, allgemein akzeptierte ethische Maßstäbe dafür zu entwickeln.



Abendblatt:

Woran denken Sie?

Seehofer:

Wir werden als bayerische Staatsregierung mit allen relevanten Kräften, von den Forschern bis zu den Kirchen, ein Symposium durchführen, um Maßstäbe zu definieren - nach dem Vorbild der medizinischen Gentechnik. Die Forschung bei der grünen Gentechnik sollte beispielsweise nach Möglichkeit nicht im Freien, sondern in geschlossenen Einrichtungen stattfinden.



Abendblatt:

Zur Bundestagswahl wollen es CDU und CSU mit einem gemeinsamen Programm versuchen, das aber erst Ende Juni vorgestellt werden soll. Werden Sie sich früher nicht einig?

Seehofer:

Das hat nichts mit Einigungsschwierigkeiten zu tun. Das ist eine strategische Überlegung, die Angela Merkel und ich besprochen haben und die ich angesichts der unsicheren Wirtschaftsentwicklung für absolut richtig halte.



Abendblatt:

Finanzminister Steinbrück rechnet mit einer Neuverschuldung von 70 bis 80 Milliarden Euro. Wollen Sie im Wahlkampf immer noch Steuersenkungen versprechen?

Seehofer:

Das Steuerkapitel wird ein wesentliches Element des gemeinsamen Wahlprogramms von CDU und CSU sein. Eines der zentralen Instrumente, um aus dieser Krise herauszufinden, ist die Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft. Ihre wichtigsten Prinzipien neben dem sozialen Ausgleich sind der freie Unternehmer, das Bekenntnis zum Privateigentum und die Belohnung von Leistung. Deshalb sagen wir: Die Menschen brauchen mehr Netto vom Brutto. Unser Motto lautet: Steuern runter!



Abendblatt:

In welcher Größenordnung?

Seehofer:

Die CSU hat schon vor einem Jahr ein Steuerkonzept mit ganz konkreten Zahlen vorgelegt. Darüber sind wir gerade mit der CDU im Gespräch, und es gibt keine grundlegenden Differenzen. Ich möchte eine gemeinsame Lösung, und wir werden die gemeinsame Lösung bekommen.



Abendblatt:

Sie erwarten, dass die CDU voll auf das CSU-Konzept einschwenkt.

Seehofer:

Ich erwarte, dass wir die Dinge nicht nur fiskalisch betrachten: Wie ist die Steuerschätzung im Mai, und wie dürfen wir jetzt die Haushalte gestalten? Wir brauchen eine ordnungspolitisch saubere Steuerreform. Ein Steuersystem mit dieser sogenannten kalten Progression und heimlichen Steuererhöhungen kann kein Zukunftsmodell für Deutschland sein. Wir müssen die Leistungsfeindlichkeit im Steuersystem, die auch Leute wie die Krankenschwester oder der Heizungsbauer spüren, abstellen.



Abendblatt:

Müsste die Union im Wahlkampf nicht ehrlich sagen, dass der Staat das Geld braucht, um die Krise zu bewältigen?

Seehofer:

Das ist eine typisch deutsche, viel zu engstirnige Fragestellung.



Abendblatt:

Dann weiten Sie unsere Stirn.

Seehofer:

Gerade in der heutigen wirtschaftlich schwierigen Situation, kann die Politik doch nicht kapitulieren und sagen: Unsere Gestaltungsmacht ist zu Ende. Das hätte eine ähnlich fatale Wirkung wie die Warnung vor sozialen Unruhen. Die Politik muss darlegen, welche Impulse sie zur Schaffung von Arbeitsplätzen geben kann. Unser Beitrag ist eine Steuerpolitik, die die Leistung der Menschen belohnt.



Abendblatt:

Die Frage ist nur: Auf wessen Kosten?

Seehofer:

Auch das ist glaubwürdig beantwortet ...



Abendblatt:

... nämlich auf Kosten der nachfolgenden Generation.

Seehofer:

Nein. Ich darf daran erinnern, dass sich Bund und Länder im Rahmen der Föderalismusreform auf eine Schuldenbremse verständigt haben, die im Grundgesetz verankert wird. Die Kredite, die in schlechten Zeiten aufgenommen werden, müssen in guten Zeiten zurückgezahlt werden. Und eins ist klar: Nichthandeln wäre für den Staat die teuerste Lösung.



Abendblatt:

Vielleicht braucht die Union ja gar kein Wahlprogramm - weil sie im Wahlkampf ganz auf die Kanzlerin setzt ...

Seehofer:

Wir wären ja von allen guten Geistern verlassen, wenn Angela Merkel im Wahlkampf nicht die zentrale Rolle spielen würde. Sie hat höchstes Ansehen, international wie national. Das zeigen alle Umfragen. Sie macht ihre Arbeit erstklassig - was nicht ausschließt, dass man gelegentlich auch mal kontrovers diskutiert. Neben der Kanzlerin braucht die Union eine überzeugende Programmatik. Beides ist notwendig: die Kanzlerin als Leitfigur in unserem Wahlkampf und ein Programm, das aufzeigt, wie wir Deutschland aus dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation herausführen wollen. Da ist die soziale Marktwirtschaft mit ihren Prinzipien unser geistiges Fundament.



Abendblatt:

Was machen Sie eigentlich im Wahlkampf? Oder Ihre Kollegen Koch und Wulff?

Seehofer:

Jeder Spitzenkandidat braucht ein Team, und das wird Angela Merkel sicher auch präsentieren. Aber das nimmt Angela Merkel nichts von ihrer überragenden Bedeutung in diesem Wahlkampf.



Abendblatt:

Und dann schaffen Sie auch die angepeilten 40 Prozent?

Seehofer:

Wir sollten uns am Vorabend einer großen Wahl mit 36 oder 37 Prozent nicht begnügen. Da ist noch Luft drin. Die Union muss alles daransetzen, ihr Potenzial mit einer überzeugenden Politik auszuschöpfen.



Abendblatt:

Die Mai-Kundgebungen der Gewerkschaften waren von der Sorge vor Massenentlassungen geprägt. Worauf kommt es in der Krise jetzt an?

Seehofer:

Sozial ist, was Arbeit schafft - dieser Leitgedanke ist noch nie so wichtig gewesen wie in diesen Monaten. Es ist richtig, dass die Gewerkschaften und die Sozialverbände darauf größten Wert legen. Wir müssen Sorge tragen, dass wir in Deutschland alles auf eine Politik für Arbeitsplätze ausrichten. Dafür brauchen wir eine Allianz aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft und Politik. Wir brauchen einen Pakt für Deutschland.



Abendblatt:

Wie passt dazu das Vorhaben der Regierung, Rentenkürzungen per Gesetz zu verhindern?

Seehofer:

Die Große Koalition hat dafür gesorgt, dass unsere Republik in schwieriger Zeit ihr soziales Gesicht wahrt. Da müssen wir uns überhaupt nicht verstecken. Das geht von der Verlängerung von Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld bis zu einer Rentenerhöhung, die endlich wieder vorzeigbar ist.



Abendblatt:

Es gibt massiven Protest von jüngeren Politikern gegen die Renten-Garantie, auch in der CSU. Die Junge Union in Bayern spricht von einer Idee aus der "sozialdemokratischen Mottenkiste".

Seehofer:

Diese Diskussion verstehe ich überhaupt nicht. Ein Streit zwischen den Generationen ist das Letzte, was wir brauchen. Die Menschen, die jetzt Rente beziehen, haben zum Teil noch die Kriegsjahre erlebt und danach maßgeblich am Aufbau dieses Landes mitgewirkt. Die Renten sind kein Almosen des Staates, sondern eine Gegenleistung für die Lebensleistung. Es ist für die Rentner schon schwer genug gewesen mit Nullrunden und ganz schmalen Rentenerhöhungen, die unter der Inflationsrate lagen. Rentenkürzungen sind mit mir nicht zu machen.



Abendblatt:

Wenn die Große Koalition für soziale Großtaten steht - warum wollen Sie nach der Wahl dann mit der FDP regieren?

Seehofer:

Weil wir unsere Wirtschafts- und Steuerpolitik mit den Sozialdemokraten nicht hinbekommen. Aber seien Sie versichert: Die CSU wird darauf achten, dass die soziale Stabilität in unserem Land gewahrt bleibt, wenn Schwarz-Gelb regiert.