Hannover. Gleißende Scheinwerfer, Blitzlichtgewitter, hochgereckte Mikrofone: Kein politisches Desaster könnte erbarmungsloser inszeniert sein. Kaum hat Wolfgang Jüttner um 18.39 Uhr im SPD-Fraktionssaal am Rednerpult Position bezogen, signalisiert der große Flachbildschirm direkt neben ihm den Grad der Niederlage. 29,6 Prozent, so die aktuelle Hochrechnung, bedeuten ein historisches Tief - für die Partei, aber auch für den Spitzenkandidaten ganz persönlich. Der an die Wand getünchte Slogan "Jetzt Jüttner!" verschärft das skurrile Bild zusätzlich.

"Wir haben das Wahlziel verfehlt, waren aber präsent", formuliert Jüttner. Das Schwerpunktthema soziale Gerechtigkeit sei das richtige gewesen. Sein Dank gehöre den wahlkämpfenden Genossen: "Ihr wart stark!" Dafür gibt's Applaus.

Jüttner stützt die Hände auf das Podest, streicht über den Schnurrbart, atmet einmal tief durch und bekennt: "Das Ergebnis ist mehr als ernüchternd. Wir haben keine Veranlassung, es schönzureden." Es sei nicht gelungen, "Wechselstimmung zu erzeugen". Die Ankündigung, "gemeinsam nachzudenken und Fehler zu suchen", mündet in dem Appell: "Uns kriegt man nicht unter!" Von vier Leibwächtern abgeschirmt und einem Pressepulk eskortiert, geht es im Schleichtempo zu den Interviewern des Norddeutschen Rundfunks. Schwitzende Referenten mit hochroten Gesichtern sind bemüht, den Weg zu bahnen.

Um 19 Uhr wartet das ZDF. Wohlfeile Worte sind gefragt. Aber immer schwingt mit: Da wurde eine politische Karriere gestoppt. Ob Jüttner an seinem 60. Geburtstag am Frühlingsanfang noch in Amt und Würden ist? Antwort wird es heute im Anschluss an eine Sitzung des SPD-Landesvorstands geben.

Keimt bei einigen Mitstreitern noch zarte Hoffnung empirischer Irrtümer, stabilisiert sich von Hochrechnung zu Hochrechnung die Gewissheit: Das war's. "Das Ding ist durch", murmelt ein ergrauter Funktionär mit weinroter Krawatte in Raum 122. "Wir haben es vergeigt." Das abgegraste Büfett passt zur aktuellen Lage. Auch die Aussicht um kurz vor 20 Uhr, doch noch die 30-Prozent-Marke zu erklimmen, beschert keine freudigen Gesichter. "Schönheitskosmetik", meint einer. Schales Bier in stehen gelassenen Gläsern, Erdnussreste sowie lauwarm servierte Bockwürste passen ins Bild. Den meisten ist der Appetit vergangen.

Eine Dame mit dunkelgrauem Blazer und SPD-Button am Revers nippt an ihrem Kelch mit Rotwein, Montepulciano, Villa Rocca. "Wacker, der Mann", lobt sie. Gemeint ist Wolfgang Jüttner. Auch Hiska Bergander (28), Rechtsreferendarin mit Doktortitel aus Hannover und seit 2005 Genossin, attestiert dem Spitzenkandidaten "Tapferkeit in Anbetracht der Niederlage". Eigentlich sei das Polit-Klima auf der Straße gut gewesen. So ermunternd gar, dass sich trotz der Umfragewerte ein Hauch Hoffnung breitgemacht habe. Die Realität ernüchtere.

Das Gros der Gäste im SPD-Fraktionssaal macht gute Miene zum für sie enttäuschenden Ausgang. Es wird sich zeigen, ob der SPD-Slogan "Gerechtigkeit kommt wieder" auch auf den eigenen Spitzenkandidaten zutrifft. Jüttner absolviert die Medienrunde im Plenarsaal mit Standhaftigkeit - auch wenn hier hartnäckig nach seinem Rücktritt gefragt wird. Die Auflösung bleibt aus. Noch. Deutlich jedoch ist sein Konter gegen die aufkeimende Kritik, soziale Themen vernachlässigt zu haben. Das sei grotesk. Derweil im Landtag die Scheinwerfer erlöschen und die Kommentatoren ein erstes Feierabend-Bierchen zischen, ist bei der SPD-Party im Phoenix-Club Tristesse Trumpf.