Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung und Inzest: In diesem Jahr gibt es wegweisende Urteile.

Karlsruhe. Es ist die größte Verfassungsbeschwerde in der bundesdeutschen Geschichte: 30 000 Bürger, darunter auch die mehreren Hundert Demonstranten vom Montag in Hamburg, wollen das neue Gesetz zur massenhaften Speicherung von Telefon- und Internetdaten zu Fall bringen. Acht Beschwerdeführer haben die Klage am Montag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das Gesetz ist seit dem Jahreswechsel in Kraft. Damit müssen alle Verbindungen über Festnetz, Handy oder E-Mail nun über einen Zeitraum von sechs Monaten gespeichert werden.

Der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik äußerte sich zuversichtlich, dass die Beschwerde Erfolg haben wird. "Die verdachtslose Überwachung, so wie sie der Gesetzgeber nun vorsieht, muss das Bundesverfassungsgericht eigentlich ablehnen." Die Kritiker beantragten zugleich, die Datensammlung durch eine einstweilige Anordnung sofort auszusetzen. Das neue Gesetz wird mit der Sorge vor neuen Terroranschlägen begründet. Die Bundesregierung setzt damit eine Richtlinie der Europäischen Union um.

Die gut organisierte Datenschutzbewegung sieht in dem Gesetz eine "Totalprotokollierung der Telekommunikation", für die 80 Millionen Bundesbürger grundlos wie potenzielle Straftäter behandelt würden. Arbeitskreis-Sprecher Ricardo Cristof Remmert-Fontes sagte, eine freie Gesellschaft benötige "überwachungsfreie Räume". Für die Abfrage der Daten ist die Genehmigung durch ein Gericht erforderlich. Ausgenommen sind Berufsgruppen wie Strafverteidiger und Geistliche.

Das Bundesverfassungsgericht muss im Jahr 2008 weitere wegweisende Urteile und Entscheidungen treffen. Im Februar und März stehen in Karlsruhe Urteile zur Online-Durchsuchung und zur automatischen Nummernschilderfassung von Autos bevor. Jeder Verfassungsrichter muss im Schnitt an jedem Tag des Jahres eine Entscheidung unterzeichnen - ob als Senatsbeschluss, Kammerentscheidung oder einfach nach Aktenlage. Bei der Online-Durchsuchung geht es um ein Gesetz in Nordrhein-Westfalen, das dem Verfassungsschutz seit dem 30. Dezember 2006 die heimliche Durchsuchung der Festplatte eines Verdächtigen erlaubt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble will dem Bundeskriminalamt solche Online-Durchsuchungen generell erlauben.

Ohne Urteile vorwegzunehmen, hatten Verfassungsrichter zuletzt versteckte Hinweise gegeben, wie sie persönlich aktuelle Probleme beurteilen. So sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier in der Katholischen Akademie in Berlin, die eigene Wohnung sei "fast das einzige Refugium, das dem Menschen noch bleibt". Papier forderte auch mehr Respekt der Politiker vor Urteilen des Bundesverfassungsgerichts.

Zu weiteren mit Spannung erwarteten Entscheidungen zählt ein Beschluss über die Strafbarkeit von Inzest. Der Zweite Senat muss über die Haftstrafe für einen jungen Mann aus Sachsen entscheiden, der mit seiner getrennt aufgewachsenen Schwester vier Kinder hat. Außerdem soll es einen Beschluss geben über die Fernsehberichterstattung aus Gerichtssälen.