Im sächsischen Görlitz lassen sich jedes Jahr 250 Deutsche über 61 Jahren nieder. Auch Leipzig setzt auf den neuen Trend.

Hamburg. Eines muss man den Ostdeutschen lassen: An Ideenreichtum mangelt es den neuen Bundesländern nicht. Weil die Abwanderung junger Menschen anhält und den Städten Verödung und Wohnungsleerstand drohen, haben ostdeutsche Kommunen eine neue Klientel entdeckt. Städte wie Görlitz, Leipzig oder Dresden buhlen verstärkt um wohlhabende Pensionäre aus dem Westen.

Die Rentner sollen hier ihren Lebensabend verbringen. Günstige Mieten, niedrige Lebenshaltungskosten und eine gute Infrastruktur sollen die Westdeutschen zum Umzug bewegen. Und immer mehr Rentner nehmen das Angebot an.

Den Anfang machte Görlitz, die östlichste Stadt Deutschlands. Knapp 58 000 Menschen leben an der Grenze zu Polen. Seit der Wende verlor die Stadt fast ein Viertel ihrer Einwohner. Rund 8000 Wohnungen stehen leer.

Seit einigen Jahren setzt die Stadt wieder auf Tradition. "Görlitz war schon immer Pensionärsstadt", sagt Franz-Josef Keul vom Bauplanungsamt. Statt öder Mietskasernen locken Gründerzeitvillen, weiträumige Parkanlagen und eine altersgerechte Infrastruktur. "Hier muss niemand eine große Fahrbahn überqueren", sagt Keul. Im Supermarkt in der Innenstadt hängen Lupen an den Regalen, damit Senioren die Preisschilder besser lesen können. Im bundesweiten Mietspiegel liegt Görlitz an vorletzter Stelle. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis beträgt vier Euro.

"Früher kamen die Preußen aus Berlin, jetzt die Pensionäre aus Westdeutschland", sagt Franz-Josef Keul. Nach Berechnungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung sind im letzten Jahre knapp 80 000 Menschen von den alten in die neuen Bundesländer gezogen, davon rund 24 000 nach Sachsen.

In Görlitz lassen sich jedes Jahr rund 250 Senioren über 61 Jahre nieder, darunter häufig Vertriebene aus Schlesien. "Görlitz wird zum Pensionopolis", sagt Franz-Josef Keul. Im Görlitzer Rathaus ist inzwischen eine Mitarbeiterin mit dem Versenden von Infopaketen beauftragt, die noch mehr Rentner in die Stadt locken sollen. Durch den Zuzug entstehen neue Arbeitsplätze, die Görlitz mit einer Arbeitslosenquote von rund 22 Prozent dringend benötigt.

Auch im sächsischen Leipzig setzt man auf den neuen Trend. Ende April startete die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) die bundesweit einzigartige Kampagne "Leipzig - gegen Mangel im Alter". Mit Großplakaten und Flyern warb die LWB im Ruhrgebiet für einen Umzug in die sächsische Metropole.

Nicht ohne Grund: 2000 Wohnungen der LWB könnten sofort vermietet werden, bei einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 5,60 Euro. Laut einer Großstadtanalyse der Unternehmensberatung Mercer Human Resource ist die sächsische Millionenmetropole - gemessen an den Lebenshaltungskosten - angeblich die günstigste Großstadt Europas. Im deutschlandweiten Vergleich landete Leipzig im oberen Mittelfeld.

94 Senioren lud die LWB für drei Tage nach Leipzig ein. Kosten pro Person 50 Euro, inklusive Übernachtung, Stadtrundfahrt und Besichtigung sanierter Wohnungen. "Wir haben vorher die Motivation der Leute überprüft", sagt Veronika Schliebe von der LWB. "Letztlich geht es darum, Wohnungen zu vermieten und nicht nur ein billiges Wochenende in Leipzig zu organisieren." Der Aufwand hat sich gelohnt. Sechs Mietverträge wurden abgschlossen. Für die nächste Bustour haben sich bereits 350 neue Interessenten angemeldet.

Mittlerweile wachen auch die westdeutschen Städte auf. "Man hat uns vorgeworfen, wir würden ihre Rentner weglocken", sagt Veronika Schliebe von der LWB und gibt sich unbeeindruckt. "Ein bisschen Neid lockt man immer hinter dem Ofen hervor."