Hamburg. Nun hat es die Deutsche Oper in Berlin also auch auf die Seiten der "New York Times" geschafft - allerdings nicht aus künstlerischen Gründen, sondern mit dem "Fall Idomeneo": "Oper wegen Mohammed-Darstellung abgesagt", titelte das Blatt gestern; auch in Los Angeles, Wien und Italien ist der Vorgang Thema. Dass Kirsten Harms, Intendantin der Deutschen Oper, die geplante Wiederaufführung der von Hans Neuenfels inszenierten Mozart-Oper aus dem Spielplan strich, hat sich ausführlich herumgesprochen. So ausführlich, dass mittlerweile wohl die Frage gestellt werden muss, ob der internationale Medien-Hype über die von Politikern und Künstlern heftig kritisierte "Idomeneo"-Absetzung der Sache, der im Kontext sicher notwendigen Diskussion über die Freiheit der Kunst sowie auch der Sicherheit, am Ende nicht doch eher schadet als nützt.
Inzwischen wurde bekannt, dass eine anonyme Anruferin im Juni bei der Bundespolizei Bedenken gegen die Aufführung geäußert hatte, woraufhin das Landeskriminalamt die Gefährdung analysierte, es aber Harms überließ, zu entscheiden.
Wie verhielte sich die Hamburger Polizei in einem solchen Fall? "Über theoretische Sachverhalte kann ich keine Angaben machen", erklärt deren Sprecher Ralf Meyer. "Täglich gehen viele Anrufe ein, und natürlich überprüfen die Beamten jeden. Wie sie reagieren, hängt vom speziellen Fall ab." Marco Haase, Sprecher der Innenbehörde, warnt davor, etwas herbeizureden, was gar nicht aktuell sei. Er bestätigt, dass die Hamburger Sicherheitsbehörden grundsätzlich jeden Hinweis sehr sorgfältig prüften. "Die Bewertungen teilen sie den Anfragenden mit und geben Empfehlungen. Und natürlich treffen sie, soweit erforderlich, eigene Maßnahmen." In Hamburg gebe es derzeit keine Erkenntnisse über Gefahrensituationen wie in Berlin. Und, so Haase, es dürfe auch "nicht so weit kommen, dass die Freiheit von Kunst und Meinungsäußerung in das Belieben von Fanatikern" gestellt werde.
"Käme eine solche Warnung bei uns im Haus an", erklärt Thalia-Intendant Ulrich Khuon, "würde ich mich mit dem Innensenator und der Kultursenatorin kurzschließen und nach der Qualität der zu erwartenden ,Störungen' fragen. Wir haben natürlich eine Verantwortung für das Publikum und die Mitarbeiter. Man muss ein Risiko aber abwägen, nach enger Rücksprache im Haus und mit der Politik."
Isabella Vertes-Schütter, Leiterin des Ernst-Deutsch-Theaters, wo heute "Nathan, der Weise" Premiere feiert, irritiert die allgemein harsche Kritik an Kirsten Harms: "Wenn eine Intendantin so eine Entscheidung trifft, sollte man das respektieren. Ich kann mir nicht vorstellen, den Nathan wegen einer solchen Drohung abzusagen, aber die Situation ist auch nicht vergleichbar." Auch in der Staatsoper würde man "prüfen, wie die Sicherheitslage konkret aussieht und dann entsprechend überlegen, welche Maßnahmen wir ergreifen würden".
Nur Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer muss nicht spekulieren - er stand als Leiter des Freiburger Theaters einst vor einer ähnlichen Situation. Als dort 1983 Voltaires "Mahomet" im Spielplan stand, sei, erzählt Schirmer, "eine harte Debatte in Gang" gekommen. Es habe erboste Briefe gegeben, "auch Drohungen gegen Schauspieler". "Das war eine durchaus explosive Situation." Als schließlich während einer Vorstellung beim Pförtner "eine Art Bombendrohung" einging, wurde die Polizei verständigt. Die gab die Verantwortung an den Hausherrn zurück: "Wir hatten ja nichts Konkretes, keinen Tonbandmitschnitt der Drohung oder so. Und es war 21.15 Uhr, die Vorstellung lief schon. Ich musste also akut entscheiden." Schirmer entschied, die Vorstellung abzubrechen und schickte das - mit Verständnis und Applaus reagierende - Publikum nach Hause. Die Spürhunde der Polizei fanden keine Bombe. "Man kann in Situationen geraten, die man nicht einschätzen kann", sagt Schirmer heute. "Trotzdem hat Theater natürlich immer auch mit Mut und Standvermögen zu tun."