Nach der Pflicht kam die Kür: Überraschend harmonisch und lautlos verabschiedete die SPD gestern in Berlin erst ihr Wahlprogramm. Kurz danach setzten sich die Karossen der Parteigranden in Richtung Hannover in Bewegung. In einemidyllisch gelegenen Hotel hatte Altkanzler Gerhard Schröder einen exklusiven Kreis zur Nachfeier seines 65. Geburtstags geladen. Bilder von Gerhard Schröders Geburtstagsfeier.

Berlin. Nach der Pflicht kam die Kür: Überraschend harmonisch und lautlos verabschiedete die SPD gestern in Berlin erst ihr Wahlprogramm. Kurz danach setzten sich die Karossen der Parteigranden in Richtung Hannover in Bewegung. In einemidyllisch gelegenen Hotel hatte Altkanzler Gerhard Schröder einen exklusiven Kreis zur Nachfeier seines 65. Geburtstags geladen. Bis in die späte Nacht wurde gefeiert und mit dem Jubilar über den Wahlkampf geplaudert. "Wir sind gut drauf. Schröder ist auch gut drauf", gab Parteichef Franz Müntefering die Stimmung vor.

Am Sonntag blieb genügend Zeit zum Ausschlafen. Die SPD-Gala mit knapp 3000 handverlesenen Gästen im Berliner Tempodrom war erst für den späten Nachmittag angesetzt. Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier konnte sich noch in Ruhe auf seine mit Spannung erwartete Rede vorbereiten, auf der er seinen Anspruch deutlich machen wollte, in fünf Monaten Angela Merkel zu beerben.

Dass dies ein ziemlich verwegenes Unterfangen wird, weiß er wohl selbst am besten. Keinen Zweifel ließ er aber daran, dass er sich das zutraut. Auf die Frage, was ihn denn zum besseren Kanzler als die Amtsinhaberin machen würde, antwortete Steinmeier nach der Vorstandssitzung selbstbewusst: "Das müsste sich doch gegenwärtig schon herausgestellt haben." In den vergangenen elf Jahren in der Regierung habe er sich in Krisen und Unwettern bewähren müssen, mit Augenmaß und Vernunft. "Daher halte ich mich für das Amt geeignet."

Immerhin verschafft ihm das Programm im SPD-Drehbuch für die nächsten Monate einigen Rückenwind. Mit dem einstimmig gefassten Beschluss setzt die Führungsriege darauf, nun "mit klarer Kante", wie Steinmeier sagte, inhaltlich in die Offensive zu kommen.

Dass dies sein persönliches Wunschprogramm sei, betonte der SPD- Spitzenmann nach den Beratungen auffällig deutlich. Aus seiner Sicht halten sich die Zugeständnisse an die Parteilinke durchaus in Grenzen. Ein höherer Spitzensteuersatz oder eine Börsenumsatzsteuer - Projekte, die in der Schröder/Steinmeier-Zeit noch undenkbar gewesen wären - sind inzwischen in der SPD weitgehend unumstritten. Ebenso die Absage an den Bahn-Börsengang, den die damalige SPD-Spitze vor nicht einmal zwei Jahren noch auf einem Parteitag durchpaukte. Dieses Umdenken sei eben Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise, heißt es auch bei den meisten Parteirechten. Und dabei sieht man sich im Einklang mit der Stimmung in großen Teilen der Wähler.

Als Erfolg feiern konnte Steinmeier, dass die Vermögensteuer abgewehrt wurde. Die Parteilinke unternahm in der Sitzung nicht mehr ernsthaft den Versuch, ihr Lieblingsprojekt im neuen Manifest unterzubringen. Auch die Forderung nach einer "Schuldenbremse", gegen die die Linke eigentlich Sturm läuft, wurde im Programm untergebracht. Zu den durchaus bemerkenswerten Teilen im quasi Kleingedruckten des Programms gehört auch die Festlegung, dass die SPD ein Bündnis mit den Linken inklusive Duldung einer Minderheitsregierung "für die gesamte nächste Legislaturperiode" ausschließt. Mit dieser Klarstellung sollte auch den von manchen Sozialdemokraten genährten Spekulationen der Boden entzogen werden, man könne eventuell aus der Regierung heraus mitten in der Wahlperiode einen solchen Wechsel durchaus ins Auge fassen.

Trotzdem gab sich auch die Parteilinke am Ende zufrieden. Beim zähen Kampf um die Spiegelstriche im Programm konnte sie noch einige kleinere Achtungserfolge erreichen. So wurde das Plädoyer für den Bau neuer Kohlekraftwerke semantisch leicht abgeschwächt. Teilnehmern fiel auf, dass Steinmeier die Verhandlungsführung in der Sitzung weitgehend Müntefering überließ. Über weite Strecken saß der Kandidat als Zuhörer schweigend am Konferenztisch.

Für den Parteichef ist der Programmentwurf ohnehin nur eine "Zwischenetappe". In dem jetzt schon auf 59 Seiten angewachsenen Text soll es bis zum Parteitag Mitte Juni noch eine Reihe von Präzisierungen und Einfügungen geben. Und weitere Überraschungen wie die Sache mit dem Steuerbonus sind nicht ausgeschlossen. "Das Beste bewahren wir wir uns bis ganz zum Schluss auf", wird vielsagend in der Parteiführung angekündigt.